Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
ihr helfen, erschien ihr mit einem Mal töricht. Hem verfolgte andere, höhere Ziele. Wie sollte sie ihn da für das Schicksal eines jungen Mannes – eines auf der Straße lebenden Diebes – interessieren. Es zeigte einmal mehr, wie naiv und unerfahren sie selbst war. Sie bereute es, ihrem Onkel – immer dann wenn er von den höfischen Intrigen erzählte – niemals zugehört zu haben.
„Das sind beruhigende Worte, Hem. Unser geliebtes Königreich ist bei Euch in guten Händen, gerade jetzt. Das Tribunal gegen den Großwesir rüttelt ja an den Grundfesten. Findet Ihr nicht auch, dass Houst langsam alt wird? In seinen jungen Jahren konnte man ihm seine Intrigen nie nachweisen. Und jetzt diese Entführung“, sagte Isi.
„Onkel Houst ist unschuldig“, sagte Nomo, obwohl sie davon selbst nicht hundertprozentig überzeugt war.
„Ihr habt die Prinzessin gehört, Königin Isi. Sie hat einen scharfen Verstand. Housts Handlungen mögen für manchen dumm, senil oder unerklärlich erscheinen, doch sie sind selten ohne Ziel“, sagte Hem.
„Und welches Ziel verfolgt er derzeit? Möglichst aufregend aus dem Leben zu scheiden?“, merkte Isi an und lächelte dabei süffisant.
„Dasselbe Ziel, das er schon seit vielen Jahren verfolgt. Er stellt sich vor die, die ihm am Herzen liegen“, entgegnete Hem.
„Eine interessante These. Er muss mich demnach geradezu abgöttisch lieben. Houst stand mir schon so oft im Weg, ich habe dies nur immer falsch interpretiert“, scherzte Isi, „Vielleicht sollte ich mich bei ihm entschuldigen. Es ist doch immer wieder aufschlussreich, mit Euch zu plaudern, Hem. Jetzt muss ich aber nach meinen beiden Jungen sehen. Auch mir liegen die meinen am Herzen“
Immer noch lachend zog Königin Isi von dannen und ließ Nomo mit Hem allein. Für eine Weile spazierten sie stumm durch die königlichen Gärten. Angestrengt überlegte Nomo, wie sie ihr Anliegen am besten zur Sprache bringen sollte.
„Ihr seht nachdenklich aus, Prinzessin. Was beschäftigt Euch?“, fragte Hem schließlich.
„Ich habe Kex aus dem Kerker befreit, der Junge mit dem ich in der Einöde war. Aber dann kam diese Gestalt, schlug mich nieder und jetzt weiß ich nicht, wo Kex ist. Wenn ihn Kirai findet, oder dieser Esrin für den er gearbeitet hat. Sie würden ihn umbringen“, platzte es aus Nomo heraus.
„Ihr wollt, dass ich nach ihm suche?“, fragte Hem.
„Würdet Ihr das denn tun?“, wollte Nomo wissen.
In ihrer Stimme lag Hoffnung, ihr Herz schlug mit einem Mal schneller. Sie blieb stehen und wartete mit großen, leuchtenden Augen auf Hems Antwort.
„Nein“, sagte Hem.
Nomos Schultern sanken herab, der Glanz in ihren Augen erlosch. Sie zog ihre Mundwinkel nach unten und blickte auf den Boden.
„Zumindest nicht ohne Gegenleistung“, fügte Hem noch hinzu.
„Wie viel wollt Ihr? Sind zehn Goldlinge genug? Mehr habe ich nicht“, sagte Nomo.
„Behaltet Euer Geld, mich kann man nicht kaufen“, entgegnete Hem scharf.
„Aber ich habe sonst nichts, was ich Euch bieten könnte“, sagte Nomo.
„Wir werden sehen. Ich melde mich bei Euch, wenn ich etwas über Euren Freund herausgefunden habe“, entgegnete Hem.
Dann drehte er sich einfach um und ging. Einerseits freute sich Nomo, dass Hem nach Kex suchen würde, andererseits hatte sie auch Angst. Angst davor, dass sie sich damit in die Hände von Hem begab, seine Gegenleistung – wie auch immer diese aussehen mochte – nicht erfüllen konnte.
***
Esrin saß auf der kleinen Anhöhe im Schatten einiger Bäume und beobachtete das Treiben auf seinem Anwesen. Die Soldaten drehten wirklich jeden noch so kleinen Stein um. Dachten sie tatsächlich, er wäre derart geschrumpft? Der Gedanke amüsierte ihn für einen Moment, lenkte ihn von seinem Wehmut ab. Er mochte dieses Anwesen, es war stets eines seiner liebsten Verstecke gewesen. Es nun aufgeben zu müssen, tat weh.
Seine Kontakte im Palast hatten ihn über das Tribunal auf dem Laufenden gehalten. Zu oft war sein Name in letzter Zeit dort gefallen. Esrin war ein vorsichtiger Mann, hatte sich und seine Familie rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Der Warnung, die er zusätzlich bekam, hätte es nicht mehr bedurft. Sie schmeichelte lediglich seinem Ego. Nun wartete er darauf, dass sich die Wogen langsam wieder glätten, die Zeiten wieder ruhiger werden würden. Bis dahin musste er sich vor der Welt verkriechen, wie eine Kakerlake vor dem Licht. Dabei hasste es Esrin, untätig herumzusitzen. Es
Weitere Kostenlose Bücher