Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
zweifelte Isi.
„Nicht einmal der Großwesir könnte so etwas komplett vor der gesamten Dienerschaft geheim halten. Zudem sind seine Aktionen nach der Entführung höchst auffällig verlaufen. Beinahe könnte man meinen, er wollte Aufmerksamkeit erregen“, widersprach der Diener.
„Ihr habt recht. Gewiss würde Houst niemals ohne Kalkül seinen Schüler Sleem ins Vertrauen ziehen. Er lenkt den Verdacht bewusst auf sich … Nur warum?“, sinnierte Isi.
„Über das letzte Jahr hinweg beteiligte er sich immer weniger an politischen Intrigen. Vielleicht ist er dieser Spiele überdrüssig. Andererseits weisen auch einige Tatsachen bezüglich der Entführung in Richtung des Königs und der Großwesir …“, sagte der Mann.
„Mein Gatte hat seine wurstigen Finger im Spiel?“, fragte Isi plötzlich hellwach.
„Zumindest spionierte er vor der Entführung Nomos Gewohnheiten aus, platzierte zwei seiner eigenen Männer in Lady Lebells Wachmannschaft und – wohl als wichtigsten Hinweis – ordnete persönlich den Einlass Esrins – der Mann beherrscht die gesamte Unterwelt der Stadt, so heißt es, meine Königin – in den Palastbezirk an“, berichtete der Diener.
„Wer weiß davon?“, wollte Isi wissen.
„Außer mir und wohl Esrin selbst niemand mehr. Die beiden Stadtwachen bezahlten ihren Gehorsam mit dem Leben“, antwortete der Diener.
Dabei sah er Isi mit leicht aufgerissenen Augen an und rieb nervös die Hände aneinander.
„Derartige Methoden lehne ich ab. Solltet Ihr jedoch Kirai in die Hände fallen, benutzt das Gift, das ich Euch gegeben habe. Es wirkt schnell und beinahe ohne Schmerzen, so wurde mir versichert. Ansonsten geht Euch der Lohn für Eure Loyalität wie gewohnt zu“, entließ Isi den Diener.
„Ich bleibe Euer ergebener Diener, meine Königin“, sagte der Mann erleichtert, verbeugte sich noch einmal tief und verließ dann die Laube.
Unmittelbar danach trat ein weiterer Mann aus einer Nische hinter Isi hervor.
„Können wir ihm trauen?“, fragte er, „Was unternehmen wir bezüglich Esrin?“
„Kann ich Euch trauen? Der Diener ist zu wertvoll, das Risiko muss ich eingehen. Was Esrin betrifft, sein kleiner Landsitz wird Kirai nicht lange verborgen bleiben, Esrins Namen hat er bereits aus diesem Kind heraus geprügelt …“, Isi verzog einen Moment angewidert das Gesicht, „…wie ein so talentierter Liebhaber derart grob sein kann … Teilt Esrin mit, er soll verschwinden! Weigert er sich, wisst Ihr, was zu tun ist“
„Jawohl, meine Königin“
Der Mann verbeugte sich kurz und trat zurück in den Schatten.
***
Wie so oft trug Sleem ein knallbuntes, etwas zu enges Outfit. Er wirkte dadurch ein wenig gepresst und kurzatmig. Ob dies an seiner allgemein schlechten Kondition lag, oder daran, dass er nicht genug Luft bekam, konnte man nicht sagen. Zumindest keuchte er schon ein wenig auf dem kurzen Weg von seinem Platz in den hinteren Reihen bis nach vorn in den Zeugenstand. Dabei wuchtete er seinen massiven Körper, die Arme weit abstehend, mit kleinen Schritten voran. Kirai strolchte währenddessen bereits ungeduldig vor dem Tribunal auf und ab. Als Sleem an Houst vorbeiging lächelte er breit und verbeugte sich tief. Dabei lief sein Gesicht rot an und man musste fürchten, dass er jeden Moment das Gleichgewicht verlieren und vornüber kippen würde. Aber er meisterte diese Aufgabe mit Bravour und kam schließlich unversehrt im Zeugenstand an.
„Ich habe den Schüler des Beschmutzten Houst in den Zeugenstand gebeten, weil dieser die Vorgänge am Tag der Rettung der Prinzessin am besten erhellen kann“, begann Kirai sogleich, „Außerdem wird er die Verstrickung des Beschmutzten in die Entführung eindeutig belegen können“
Sleem grinste breit, nickte Kirai zu und ohne eine Frage von Kirai abzuwarten, räusperte er sich kurz und begann dann zu sprechen.
„Vorweg möchte ich betonen, es schmerzt mich, meinen Meister hier vor diesem Tribunal als Beschmutzten zu sehen. Er ist ein hervorragender Gelehrter, unübertroffen in der Erforschung der Alten und er hat mich großzügig an seinem Wissen teilhaben lassen, so dass auch ich nunmehr ein hervorragender Experte bin. Als Bürger und erst recht als Beseelter habe ich jedoch die Pflicht, zur Wahrheitsfindung beizutragen. Das Wohl der von mir hochgeschätzten Prinzessin…“, Sleem blickte zum Platz von Nomo hinüber.
Er stutzte. Der Platz war leer. Auch Nomos Mutter Lebell fehlte. Sleem suchte mit den Augen den ganzen
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