Die Legende der Alten: Teil 1: Erwachen (German Edition)
Sleem bereits erwähnten – Freundin derart in die Öffentlichkeit zu zerren, doch die Angelegenheit erfordert es. Ich bitte Lady Jetti nach vorn und entschuldige mich schon im Vorfeld bei ihr für die Unannehmlichkeiten, die diese Befragung mit sich bringt“
Eine junge Frau, die Nomo sehr ähnlich sah und auch im selben Alter zu sein schien, trat aus einer der hinteren Reihen hervor und ging – verfolgt von den neugierigen Blicken der Zuschauer im Saal – nach vorn zum König. Dieser geleitete sie persönlich in den Zeugenstand. Kirai verschränkte währenddessen die Arme vor der Brust. Er schürzte die Lippen, sein Mund arbeitete dabei unentwegt.
„Lady Jetti, könnt Ihr bitte Euer Verhältnis zu meinem Bruder erklären und wie es zu diesem Missverständnis kommen konnte, aus dessen Anlass der Beseelte Kirai den Großwesir vor dieses Tribunal zerrte“, forderte der König die junge Frau auf.
„Gern. Wo soll ich anfangen… Ich entstamme einer angesehenen Kaufmannsfamilie, die unweit der Stadt ein Anwesen unterhält. Houst ist schon lange ein Freund der Familie, ich kenne ihn bereits seit meiner Kindheit. Er war für mich fast wie ein leiblicher Onkel. Er hat das Anwesen meiner Familie oft besucht. In den letzten Monaten hat es das Schicksal mit meiner Familie aber nicht gut gemeint. Zuerst starb meine Mutter an der Sonnenkrankheit. Ein schwerer Schlag, selbst die Dienerschaft verfiel in Trauer. Mein Vater vernachlässigte danach die Geschäfte, bald fehlte das Geld. Um sein Gesicht zu wahren und uns eine heile Welt vorzugaukeln, nahm mein Vater Kredite auf. Als ihm seriöse Geldgeber nicht mehr helfen wollte, wandte er sich an zwielichtige Gestalten. Das alles habe ich erst im Nachhinein erfahren, mein Vater hielt diese Angelegenheit vor allen anderen geheim. Was hat dies nun alles mit dem Großwesir zu tun? Nun vor wenigen Wochen fiel eine Bande Männer in unser Anwesen ein. Sie plünderten und mordeten, alle Wachen und viele der männlichen Bediensteten wurden einfach dahin gemetzelt. Auch meine beiden Brüder waren unter den Toten. Was sie mit den Frauen, was sie mit mir gemacht haben…“
Die junge Frau bekam feuchte Augen, sie verbarg einen Moment das Gesicht in den Händen und schluchzte leise. Dann wischte sie sich die Tränen aus den Augen und sprach weiter.
„…Entschuldigung, die Erinnerung schmerzt noch immer. Ich kann nicht darüber sprechen. Die Bande zog schließlich ab, hinterließen meinem Vater – der alles mit ansehen musste – eine eindeutige Warnung. Sie würden wiederkommen, wenn er nicht endlich seine Schulden zahlte. Aber wie sollte er das anstellen? Das Anwesen stand in Flammen, alles von Wert hing in Säcke gestopft an den Sätteln der Pferde, auf denen diese Räuber jetzt davon ritten. Am nächsten Morgen fand ich meinen Vater an einem Ast der alten Eiche auf dem Hof unseres Anwesens hängend. Er hatte sich in Nacht das Leben genommen. Ich war allein, ohne Familie, mein Zuhause eine verkohlte Ruine. Geld besaß ich keines, ja mir blieben nur noch die zerfetzten Kleider, die ich am Leib trug. In meiner Not, schrieb ich Houst einen Brief, er war der einzige, an den ich mich wenden konnte. Ich schilderte ihm – so wie diesem Tribunal jetzt – meine missliche Lage. Sofort war er bereit, mir zu helfen, nannte mir die Adresse des besagten Hauses in der Stadt, wo ich ihn treffen sollte. Damit die Gläubiger meines Vaters von meiner Flucht nicht erfuhren, hielt Houst die Angelegenheit geheim. Allerdings fand ich das Haus in der Stadt leer. Nachdem ich einen ganzen Tag gewartet hatte – ich machte mir bereits Sorgen –, kam einer der Bediensteten des Großwesirs und informierte mich über das Missverständnis, das ich mit meiner Schilderung nun hoffentlich ausräumen konnte“
Damit beendete Lady Jetti ihre Ausführungen. Sie wollte den Zeugenstand eben verlassen, als Kirai von seinem Stuhl aufsprang.
„Wer soll Euch diese an den Haaren herbeigezogene Geschichte glauben? Ich werde Euch einer persönlichen Befragung unterziehen, Eure Lügen werden nicht lange Bestand haben“, forderte er.
„Hohes Tribunal, angesichts der schweren Schicksalsschläge, die Lady Jetti bereits erleiden musste, ist es kaum angemessen, sie in die Hände des Blutrichters zu geben. Wie dieser mit Zeugen umgeht, konnten alle vor wenigen Tagen hier an dieser Stelle sehen“, intervenierte der König.
„Ich bestehe auf dem mir vom hohen Tribunal verliehenen Recht. Ich bin der Blutrichter, Ihr könnt
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