Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
schwach, dass Ilbi sie nicht wirklich jemandem zuordnen konnte. Wahrscheinlich nur eine Interferenz in der Übertragung. Sie entfernte sich von der Stadt der Alten, begab sich hinein in das Nirgendwo der Einöde. Das große Nichts breitete sich in ihrem Geist aus. Was sollte sie auch spüren, die meisten Sendeanlagen waren längst kaputt, versunken im Staub, oder – nach dem Regen – im Schlamm der Einöde. So hatte Ilbi bereits vor Wochen den Kontakt zu Mo verloren, für eine direkte Übertragung war sie wohl zu weit entfernt. Vielleicht lebte sie auch gar nicht mehr. Manchmal vermisste Ilbi die anderen Nachtjäger, einzig Skio war ihr als Freundin geblieben. Ihre Entscheidung. Ebenso hätten sie auch Zemal und die anderen begleiten können. Doch das Leben hier in Nadamal, die vielen Aufgaben, die ihr Georg beständig auftrug, erschienen ihr wichtiger, spannender. Na ja, zumindest die meisten Aufgaben. Die Leere lenkte die Gedanken zu schnell ab, dies machte die Suche so anstrengend. Ilbi konzentrierte sich wieder auf die Außenwelt. Mehr oder minder lustlos und ohne jegliches System stocherte Ilbi im Nichts herum. Dabei verweilte sie oft nur Bruchteile von Sekunden, kaum ein Wimpernschlag und keine wirklich ernsthafte Suche. Und sie war jedes Mal froh, nichts, aber auch wirklich nichts zu finden. Verwunderlich war das nicht, selbst wenn irgendwo noch Sender existieren würden, so fehlten doch die Menschen durch deren Blut genügend Nanosonden zirkulierten, um einer Gedankenübertragung fähig zu sein. Nur noch ein bisschen länger und sie hatte es geschafft. Doch dann, irgendwo im Norden – etwa da wo sie Mo und Zemal das letzte Mal gespürt hatte, bevor sie verschwunden waren – bemerkte sie plötzlich etwas. Ein bunter Mix verschiedener Gedanken waberte von dort herüber, wirr und chaotisch. Dies waren keine gezielten Übertragungen. Vielmehr deutete es auf Menschen hin, die ihren Geist nicht ausreichend abschirmten. Ilbi suchte nach bekannten Signaturen. Mo sollte leicht zu finden sein. Nichts. Entweder sie wurde von den anderen derart überlagert, dass ihre Gedanken nicht spürbar waren oder sie befand sich nicht dort. Vielleicht hatte sie sich aber auch nur zu gut abgeschirmt, immerhin trug auch sie Georgs Geschenk. Als nächstes suchte Ilbi nach Zemal. Während seiner Zeit in Nadamal war er stets wie ein Leuchtturm gewesen, seine Gedanken offen für jeden, der sie lesen wollte, nach der Flucht jedoch bisweilen gar nicht mehr spürbar. Erinnerungen, fremde Identitäten, die das eigentliche Bewusstsein überlagerten, so hatte es ihr Georg erklärt. Die Nanosonden speicherten die Gehirnmuster des Menschen, sie waren nicht dazu gemacht, wiederverwendet zu werden. Genau das war aber wohl bei Zemal passiert. Wie dies geschehen konnte, darauf hatte auch Georg noch keine Antwort. Für einen kurzen Moment meinte Ilbi, Zemal gefunden zu haben, dann brach der Kontakt jedoch abrupt ab. Auf die anderen Menschen konnte sich Ilbi keinen Reim machen. Oft sprangen deren Gedanken wild hin und her, waren nicht einmal einer einzelnen Person zuzuordnen. Fast erschien es, als befänden sich gleich mehrere Personen an ein und derselben Stelle, nicht nebeneinander, ineinander. Manchmal referenzierten Gedanken Ereignisse aus der Zeit der Alten, die Ilbi aus den Gedankenarchiven kannte, bisweilen jedoch aus einer ganz anderen Perspektive. Weniger schillernd, oft grausam. Nach einer Weile zog sich Ilbi zurück, ihre Stimmung gedrückt, ein wenig aggressiv. Diese Menschen hatten offensichtlich viele schlimme Dinge erlebt. Und die meisten zeigten dabei in Georgs Richtung.
***
„Ich kann nichts mehr sehen!“, jammerte Kirai, „Und meine Nase, sie ist gebrochen. Er hat mir mein Gesicht ruiniert. Seit wann interessiert er sich für Eure Liebhaber?“
Erfolglos versuchte er, unter dem reglosen und ziemlich massiven Körper des Königs hervor zu kriechen.
„Ist er tot?“, fragte Isi ängstlich, anstatt Kirais Frage zu beantworten.
„Keine Ahnung. Er ist vor allem schwer. Könnt Ihr mir bitte helfen“, verlangte Kirai.
„Er ist tot“, sagte Isi und stupste den König dabei mit dem Fuß an.
„Ja. Aber jetzt helft mir doch endlich. Ich bekomme kaum Luft“, forderte Kirai noch einmal.
Während Kirai von der einen Seite schob, zerrte Isi am Arm des Königs. Erst zaghaft, später mit aller Kraft. Zusammen befreiten sie Kirai endlich. Überall an ihm klebte Blut, verstärkte den mitgenommenen Eindruck. Mit einem Tuch
Weitere Kostenlose Bücher