Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
erträglich. Wie all die anderen Männer, ein Fremder. Nur sein Geruch, sein Gesicht, gaukelte ihr ein wenig Vertrauen vor. Aber nun … Wim kam näher, sicher spürte er auch ihre Anwesenheit, suchte sie. Eigentlich hatten sie sich nicht mehr viel zu sagen. Sie fürchtete die Begegnung mit ihm, die Sprachlosigkeit, dennoch lief sie nicht davon. Dafür war es ohnehin zu spät, er zwängte sich bereits in Sichtweite durch einige Menschen, hatte sie entdeckt. Ein hochgeschossener Mann, seltsam gekleidet, so jung. Das war nicht Wim, sein Äußeres wirkte fremd. Aber es waren Wims Gedanken. Ein anderer Wim? Wie konnte es ihn zweimal geben? Hatte er sich derart verändert oder war nur ihre Erinnerung verblasst?
„Wim“, begrüßte sie ihn kurz, vorsichtig, mit leicht zusammengezogener Stirn.
Er blickte sie für eine lange Zeit nur an. Verwirrung. Auch er erkannte sie kaum wieder. Es schien beinahe so, als würden sie beide in einem fremden Körper stecken. Am Rand ihrer Wahrnehmung, kaum mehr spürbar, suchte ein anderes Bewusstsein die Kontrolle zurück zu erlangen. Doch sie schirmten sich dagegen ab. Ein permanenter Kampf, wer ihn verlor, endete im besten Fall in der psychiatrischen Anstalt. Wenn es rechtzeitig bemerkt wurde. Bei vielen wurde es das nicht. So wie bei jenem Polizisten in der Schule, der ihre Kinder ... Wim legte beruhigend die Hand auf ihre Schulter.
„Nicht“, sagte er nur.
Früher hätte er sie in den Arm genommen. Das traute er sich nicht mehr, es passte nicht. Trotzdem, sein Trost tat gut. Sie mochte ihn dafür verdammen, dass er jemals an den Nanosonden mitgearbeitet hatte, aber es waren auch seine Kinder gewesen. Sein Verlust war so groß wie der ihre. Vielleicht ein erster Schritt, ihm zu verzeihen. Sie begannen einen Spaziergang, zu viele Leute hier, zu viele Gedanken. Es strengte an, sie aus der eigenen Wahrnehmung auszusperren. Warum brüllten nur alle so. Sie sollten sich besser fokussieren.
„Du willst noch einmal zu ihm gehen, nach allem?“, fragte sie.
Seine Gedanken verrieten ihn. Noch immer glaubte er an Georg, das Gute in ihm und daran, dass er, Wim, der einzige sein könnte, der Georg letztlich umstimmt. Wieso nur hing er so an dieser längst verlorenen Freundschaft?
„Das ist es nicht“, begann Wim, „Ich weiß, dass Georg und ich keine Freunde mehr sind. Vielleicht waren wir das nie wirklich. Aber ich trage doch eine Verantwortung, und ich kenne ihn. Georg ist ehrgeizig, über alle Maßen, scheitern für ihn inakzeptabel. Ein Heißsporn – auch in seinem Alter noch –, der Chancen sieht und Risiken ausblendet. Deshalb hält er an seinen Plänen fest. Die Auswirkungen der Nanosonden sind nicht viel mehr als Kinderkrankheiten, die es auszumerzen gilt“
Er sprach von Verantwortung und meinte doch Schuld, seine und ihre. Mit seinem Weggang aus Georg Waldbergers Institut, hatte er sich der Einflussnahme beraubt, dem Projekt das mahnende Gewissen genommen. Auf ihr Drängen hin, war er aus Georgs Schatten getreten, hatte mit dem Sonnenkraftwerk selbst etwas Bahnbrechendes geschaffen. Er hätte die Risiken erkannt, Georg bremsen können, so sein Credo. Er wäre mit der Position hinter Georg zufrieden gewesen. Eine Anklage, die sich gegen sie richtete. Wehmut.
„Bedeutet dir dein eigener Erfolg gar nichts?“, fragte sie.
„Was hat er genützt?“, entgegnete er bitter.
„Die Menschheit hat …“
Sie schaute sich um. Wüste. Wo waren sie eigentlich, welcher Tag war heute? Bilder drängten sich in ihr Bewusstsein, Erinnerungen an Chaos, an Zerstörung. Der eigene Tod? Wie grotesk. Und doch es fühlte sich real an.
„… die Menschheit hatte Wohlstand, gute Jahre“, beendete sie ihren Satz.
Auch Wim blickte sich um. Wie sie suchte er, die Lücke zu füllen, den Bogen zu schlagen zwischen seiner Wahrnehmung und den davon abweichenden Erinnerungen. Wie sie fand er nur Leere. Wann hatte sich die Welt derart verändert? Warum erinnerten sie sich nicht daran? Sie suchte außerhalb ihrer eigenen Gedanken, öffnete sich. Mit einer ungeahnten Vehemenz drängte sich jemand in ihr Bewusstsein, schob sie beiseite. Sie reagierte zu spät.
Nomo schrak auf. Sie lief neben dem Verdammten, Zemal, durch die Einöde, allein. Es dämmerte bereits. Weder erinnerte sie sich, wie sie in die Einöde gekommen war, noch, warum sie mit Zemal spazieren ging.
„Ich möchte nach Hause“, bat sie.
Zemal verstand sie nicht.
***
„Diese Aufgabe ist langweilig. Schon beim letzten Mal
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