Die Legende der Alten: Teil 2: Wiederkehr (German Edition)
unterwegs. Dieser Fahrstuhl trug jeweils nur einen Menschen und dies war bereits eine technische Meisterleistung, so suggerierten es Esrin zumindest die Stimmen und Bilder in seinem Kopf. Aus Angst, sich wieder in diesen Gedanken der Alten zu verlieren, sah er jedoch nicht so genau hin.
„Bitte kontrollieren Sie noch einmal Ihren Gurt. Die Kapsel startet in wenigen Sekunden.“, erklang eine Stimme.
Esrins Augen weiteten sich, er zog heftig die Luft ein, als sich der Fahrstuhl endlich in Bewegung setzte. Die Beschleunigung fixierte ihn regelrecht auf die kleine Sitzfläche. Auch das ein Unterschied zu den anderen Fahrstühlen, dort bemerkte man die Fahrt kaum. Hier drückte die Last des eigenen Gewichts so sehr, dass selbst das Atmen schwer fiel. Erst nach einer Viertelstunde ließ dieses Gefühl langsam nach.
„Reisegeschwindigkeit ist erreicht. Geschätzte Ankunft in der Basisstation in sieben Stunden dreißig Minuten“, sagte eine Stimme lapidar.
Sieben Stunden eingesperrt in diesem engen Kasten? Am liebsten hätte Esrin vor Wut gegen die Tür getrommelt, doch die Gurte hinderten ihn daran. Schon wieder hatte ihn die Verdammte zum Narren gehalten, ihn zu ihrem Werkzeug gemacht. Was wollte sie denn diesmal? Aber war er nicht schon immer ein Werkzeug gewesen? All die Aufträge, die er für die Beseelten ausgeführt hatte, sie waren doch niemals seiner eigenen Motivation entsprungen. Solange sie ihn bezahlten, tat er, was sie von ihm verlangten. Auf wessen Seite er dabei stand, wechselte oft genug von Auftrag zu Auftrag. Allein Ilbi bezahlte ihn nicht! Und was tat er dagegen? Nicht viel. Wer ihn früher derart betrog, lebte nicht lang. Das Alter hatte ihn tatsächlich weich werden lassen, irgendwie milde. Aber Milde war eine Sackgasse, das wusste er aus Erfahrung. Wer seine eigenen Interessen nicht mit dem nötigen Nachdruck durchzusetzen wusste, wurde bald schon nicht mehr ernst genommen. Nahm ihn Ilbi ernst? Esrin fürchtete, sie tat es nicht. Dies musste er ändern, ein Exempel statuieren. Sonst rannte er dieser Göre noch für den Rest seines Lebens hinterher. Esrin besaß wenig Ehre, noch folgte er irgendwelchen hehren Zielen. Doch Esrin war stolz. Stolz bisher überlebt zu haben, stolz auf seinen Reichtum – mehr als die meisten Beseelten besaßen –, ja, auch stolz auf jene Fähigkeiten, für die sich jemand anderes schämen würde. Es wurde Zeit, dass sich dieser Stolz wieder meldete.
***
Der Lärm schreckte Houst aus dem Halbschlaf. Er schaute zwischen den Gitterstäben auf den Platz, sah zu, wie die Maschine der Alten vom Himmel fiel und am Boden zerschellte. Jemand wurde in den Brunnen geschleudert, festgezurrt auf einem Stuhl, konnte sich nur mit Mühe vor dem Ertrinken retten. Heulende Geräusche näherten sich, eine der schwebenden Maschinen, so eine, wie Houst hier hinein gesperrt hatte, flog auf den Mann zu. Irgendwie kam ihm der Mann bekannt vor, auf die Entfernung konnte er dies jedoch nicht so genau beurteilen. Aber jene junge Frau, die im gleichen Moment an die Seite des Mannes eilte, erkannte er mit Sicherheit. Houst traute seinen Augen kaum, da vor ihm auf dem Platz, hunderte Kilometer von zuhause entfernt stand seine Nichte Nomo und half dem Mann aus seinem Sitz. Kurz darauf starrte sie eine Weile diese schwebende Maschine an, bevor sie – zusammen mit dem Mann – aus dem Brunnen stieg. Die Maschine schwebte dabei neben ihnen her. Würde sie wie er in einem dieser Käfige landen? Nein, nach wenigen Metern wurde Houst klar, dass seine Nichte nicht der Maschine, sondern die Maschine seiner Nichte folgte.
„Nomo“, rief Houst über den Platz.
An Nomos statt drehte der Mann seinen Kopf in Housts Richtung, deutete mit dem ausgestreckten Arm auf ihn. Dabei sprach er auf Nomo ein, die daran aber offensichtlich wenig Interesse zeigte. Erst als der Mann auf Houst zulief, folgte sie ihm widerwillig. Als erstes erreichte jedoch die schwebende Maschine den Käfig, vorsichtig trat Houst einen Schritt zurück.
„Warnung! Sehr schwache Signatur. Nicht registriert. Möglicher Angreifer“, dröhnte eine Stimme aus der Maschine.
Der Mann trat neben die Maschine. Houst hatte ihn definitiv schon einmal gesehen, nur wo, daran erinnerte er sich nicht. Auch der junge Mann dachte offenbar darüber nach, woher er Houst kannte.
„Bei den Alten, Nomo, was machst du hier?“, fragte Houst seine Nichte als diese die kleine Gruppe erreichte.
„Sie kommen mir sehr bekannt vor. Wir sind uns schon
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