Die Legende der Dunkelheit: Thriller
würden.
Simon griff in seine Jackentasche und legte die Hand um die kleine schwarze Dose. Michael hatte sie zusammen mit anderem Kleinkram für ihn in seinem Hotelzimmer gelassen; das kreative Geschick seines Freundes verblüffte ihn immer wieder.
Simon war zwölf Stunden zuvor mit einem Privatjet hier eingetroffen. Er befolgte Michaels E-Mail-Instruktionen, hielt sich unauffällig im Hintergrund, prägte sich den Plan ganz genau ein und ging die Strecke dann dreimal ab. Er wusste, was für ein Chaos er verursachen würde, doch er empfand keine Reue; er hätte alles getan, um seinen Freund zu retten. Also fuhr Simon mit dem Daumen über die kleine Dose und drückte den blauen Knopf. Es gab keine Explosion, keinen lauten Knall oder so etwas, doch Simon wusste, dass das im Untergeschoss ganz anders aussah. In den Eingeweiden des Venetian brach die Hölle los.
*
Rene Clauge, der Mann, der für die Sicherheit der Spielchips verantwortlich war, saß auf seinem Stuhl und starrte auf die drei Bildschirme. Der erste gab Aufschluss darüber, wo sich die insgesamt 131 Millionen Chips gerade befanden, die derzeit oben im Umlauf waren: 9,5 Millionen in den dreitausend Automaten, 103 Millionen auf den Tischen, 11 Millionen an den Schaltern, und der Rest steckte in den Taschen der Leute. Auf dem zweiten Bildschirm lief die Testversion eines neuen Glücksspielprogramms, an dem er gerade arbeitete, und auf dem dritten der Spielfilm Casablanca .
In Renes Augen gab es niemanden, der so schlau war wie er; und niemand hatte für das Management des Casinos mehr getan als er. Deshalb war er im letzten Monat zu dem Schluss gekommen, dass er dafür etwas Besseres verdient hatte, als um drei Uhr morgens fünfunddreißig Meter unter der Erde zu hocken und auf einen Computermonitor zu glotzen. Er hatte seine Abschlussprüfung beim MIT , dem Massachusetts Institute of Technology , als Klassenbester bestanden, sowohl beim Bachelor- als auch beim Master-Studiengang. Die Konditionen, unter denen er für das Casino arbeitete, waren nicht unbedingt schlecht, doch er wusste inzwischen, dass er wesentlich mehr wert war. Gleich am Montag wollte er die Bedingungen mit dem Venetian neu aushandeln oder kündigen und seine neuen RFID-Ideen mitnehmen.
Plötzlich schlug sein Computer Alarm. Rene starrte auf seinen Monitor, er starrte auf das Unfassbare. Es bestand kein Zweifel, dass vor einer knappen Minute Chips im Wert von 131 Millionen in den Spielsälen gewesen waren. Wenn es stimmte, was er jetzt vor sich sah, hieß das nicht nur, dass jemand den Algorithmus seines Chip-Systems geknackt, sondern außerdem das Casino mit gefälschten Chips überschwemmt hatte, ein Albtraum, der alles zum Erliegen bringen konnte. Denn auf einmal sah er, dass Chips im Wert von über 300 Millionen Dollar im Umlauf waren.
Und falls das wirklich stimmte, würde aus seinem Plan, sich am Montag nach einer neuen Stelle umzusehen, nichts werden, und das nicht etwa, weil man plötzlich an seinem Ruf zweifelte, sondern weil er bis dahin tot sein würde.
Ohne weiter zu zögern, löste er den Alarm aus.
Zum zweiten Mal in dieser Nacht wurden die Untergeschosse vollständig abgeriegelt, die Fahrstühle zurückgerufen, und die Feuertreppen verschlossen sich. Doch dieser Alarm war wesentlich brenzliger. Der gesamte Stab an Sicherheitspersonal, 110 Männer, strömte in die Spielsäle des Casinos. Drei Wachmänner bezogen Posten an jedem einzelnen Ausgang, und Teams schwärmten aus, um sich an den Tischen umzusehen und auf Anweisungen der Kommandozentrale auf U-3 zu warten.
Darüber hinaus griff man zu der drastischen Maßnahme, die Schalter zu schließen. Das Personal versicherte den Gästen, dass es nur einen Moment dauern würde, bis der Computerfehler wieder behoben sei. Doch ein Raunen ging durch die Schar der Spieler, die gewonnen hatten. Es waren ja nie die Verlierer mit den leeren Taschen, die an den Schalter gingen, um ihre Chips in Bargeld umzutauschen. Das taten nur die Gewinner, die wie im Rausch waren, weil sie Glück gehabt und gegen das Haus gewonnen hatten. Die standen vor den Schaltern, selig lächelnd und mit Dollarzeichen in den Augen. Und wenn man denen jetzt ihre Gewinne vorenthielt …
Simon sah, wie ein Geschwader von Wachmännern aus den Personaleingängen auf der anderen Seite der Lobby strömte. Sie schwärmten aus, stellten sich an die Tische, vor die Türen, ließen den Blick schweifen, suchten nach verdächtig aussehenden Personen.
In den paar
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