Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
ihnen geredet, sondern sie nur in einer Ecke sitzen sehen.«
Was, zum Henker, mag das bedeuten? Jeryd wandte sich unvermittelt ab. »Komm, ich friere mir hier den Schwanz ab.«
Sie kehrten ins Gebäude der Inquisition zurück, und Jeryd zündete den Kamin an. Er schwieg, während die Flammen aus kleinen Anfängen zu einem prasselnden Feuer wurden. Tryst zog einen Stuhl heran und setzte sich neben ihn.
Schließlich fragte Jeryd: »Im ›Kreuz & Sichel‹ , ja? Wann war das?«
»Vorgestern. Es war noch früh am Abend, etwa acht, neun Uhr. Alles in Ordnung, Jeryd? Ihr wirkt etwas besorgt.«
»Nein, nein. Na ja … mir hat sie gesagt, sie sei mit einem Freund unterwegs gewesen.«
Tryst lehnte sich zurück und streckte die Beine zum Feuer. »Na dann – kein Grund zur Beunruhigung.«
»Wie hat er denn ausgesehen?«, fragte Jeryd.
»Es war ein großer Rumel, aber ich kenne ihn nicht. Ein dunkelhäutiger Bursche, gut gekleidet. Sie wirkten übrigens eng befreundet. Sie haben viel gelacht – wie Leute, die sich lange kennen. Wie alte Freunde.«
»Diesen alten Freund von ihr kenne ich dann jedenfalls nicht. Außerdem sagte sie, sie würde eine Frau treffen.«
»Ich würde mir nicht so viele Sorgen machen. Vermutlich eine zufällige Begegnung. Ihr wisst ja, wie die Leute sind.«
»Stimmt … «, erwiderte Jeryd. Trysts letzte Worte hatten die Sache nur schlimmer gemacht.
Der Gehilfe stand auf. »Ich gehe jetzt besser wieder Tuya beschatten.«
Der Rumel beobachtete, wie er das Zimmer verließ, und blieb allein am prasselnden Feuer zurück. Immer tiefer verlor er sich in Gedanken und Argwohn.
An diesem Abend kehrte er früh nach Hause zurück, und der Duft von warmem Brot schlug ihm entgegen. Das hätte ihn mit Vorfreude erfüllen sollen, doch er hatte kaum Appetit.
Er legte seinen Umhang ab, klopfte den Schnee von den Stiefeln und stellte sie ans Feuer in der Küche, wo Marysa eifrig buk. Sie summte ein Lied, das zehn Jahre zuvor sehr beliebt gewesen und damals in jeder Bar gesungen worden war. Diese schmerzliche Erinnerung schien sein Zeitgefühl zu suspendieren.
»Du bist früh dran«, bemerkte sie und küsste ihn auf die Wange.
Ist sie überrascht? Hat sie jemand anders erwartet?
»Ja, ich hab heute einfach nichts erledigt bekommen und deshalb früher Schluss gemacht, um nachzudenken.«
Sie ging wieder ans Teigkneten. »Ich bin gleich fertig – nur noch ein paar Brötchen mehr. Das ist wirklich mal eine andere Arbeit als sonst.«
»Prima«, sagte er halbherzig. Kaum hatte er die Küche verlassen, schimpfte er auf sich. Warum war er ihr gegenüber so ablehnend? Er wusste nichts Genaueres und sprang doch bereits barsch mit ihr um. Wie würde er sich erst aufführen, wenn wirklich etwas vorfiele? Er trat einen Schritt zurück, um sie zu beobachten, blieb aber weit genug entfernt, um durch die offene Tür im Dunkeln nicht bemerkt zu werden. Und er beobachtete sie, als sähe er sie zum ersten Mal, nun, da es ihm wichtig schien, an solche kleinen Dinge zu denken.
Sie war schlank für ihr Alter, hatte noch immer eine gute Figur und war fraglos attraktiv. Andere Männer würden sich für sie interessieren. Jeryds Mutter hatte immer gesagt, wer als Mann oder Frau ruhig schlafen wolle, solle sich einen reizlosen Partner suchen, doch er hatte solche Dinge nur selten mit seiner Mutter besprochen.
Vielleicht hatte Tryst sich geirrt. Vielleicht hatte er gar nicht Marysa gesehen.
Sie sich mit einem anderen vorzustellen, schmerzte Jeryd tief, und er fühlte sich schwach, verletzlich, zornig. Vor Monaten, als sie nicht mehr bei ihm gewohnt hatte, wäre das nicht so schwierig gewesen. Doch sie war zurückgekehrt, und er konnte sich nicht erinnern, sie je inniger geliebt zu haben als jetzt.
Er klopfte an die Türfüllung. Marysa sah kurz hoch und befasste sich dann wieder mit den Brötchen. »Alles klar, Jeryd?«
Er kam in die Küche zurück. »Ich hab gar nicht gefragt, wie dein Abend mit Layna war.«
»Es war nett, danke! Ich hab sie viel zu lange nicht gesehen.«
»Wo seid ihr gelandet?«
»Wir sind bei ihr geblieben, weil sie nicht in den Schnee wollte.«
»Tryst denkt, er hat dich in einer Taverne gesehen.«
Er glaubte, eine leichte Änderung ihrer Körperhaltung zu bemerken, eine Anspannung oder kleine Unsicherheit.
»Auf dem Weg zu ihr, meinst du?«
»Er sagte, du seiest in einer Taverne gewesen, aber er mag sich getäuscht haben.«
»Oh, das kann ich nicht gewesen sein. Ich war die ganze Zeit bei
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