Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
seinen Jahren bei der Inquisition. Er tauschte seine Dienstrobe gegen etwas Zwangloseres, machte Feuer im Kamin und öffnete eine Flasche alten Wodka, der in der Kehle brannte. Er wollte ein wenig Kontrolle über die Dinge und sein Leben zurückgewinnen und glaubte, der Alkohol könnte ihm dabei helfen.
Er ließ sich in einen Sessel am Kamin fallen, trank und fühlte sich hundeelend. In einiger Entfernung klagte eine Banshee. Noch ein Toter, aber diesen Fall würde ein anderer aufklären müssen. Jeryd wünschte sich unwillkürlich, die Banshee würde um Marysas neuen Mann trauern.
Er saß im Dunkeln da und wartete auf ihre Rückkehr.
Marysa kam erst viel später und war in mehrere Umhänge und Schals gehüllt.
Sie tat, als wäre nichts geschehen. Ihr herzlicher, liebender Blick empörte ihn. Er war so ungewöhnlich wütend, als hätte eine Droge von ihm Besitz ergriffen.
Sie beugte sich vor, um ihn auf die Wange zu küssen, obwohl ihre Lippen einen anderen gekost hatten. Er staunte, dass jemand ihn unverhohlen betrügen und sich dabei so unschuldig geben konnte.
»Es wird einfach nicht wärmer, was?«, sagte sie leise. »Wie war dein Abend, Schatz?«
»Gut«, erwiderte Jeryd kurz angebunden und überlegte, wie er ihren Betrug am besten anspräche. Er wollte so vieles sagen und ihr alles erzählen, was er gesehen hatte. Kaum aber hängte sie ihre Obergewänder auf, da hieb er ihr seinen schweren Krug auf den Hinterkopf. Als das Gefäß in tausend Scherben ging, hatte er das Gefühl, von etwas Animalischem besessen zu sein; Substanzen, die nicht in seinen Kopf gehörten, schienen sein Denken zu beeinträchtigen.
»Wir haben dich beide gesehen!«, brüllte er ihre ohnmächtige Gestalt unter Tränen an und bemühte sich sehr, trotz aller Aufgewühltheit die Kontrolle nicht noch weiter zu verlieren.
Sie reagierte nicht.
Während seiner langen Zeit in Villjamur und in all den Jahren im Dienst der Inquisition hatte Jeryd nie eine Frau geschlagen. Männer, die so etwas taten, ekelten ihn an, und jetzt ekelte Jeryd sich vor sich selbst. Es war, als hätte sich etwas seiner bemächtigt und ihn Dinge tun lassen, die er normalerweise sehr gut im Griff hatte.
Er hatte das Gefühl, unter Drogeneinfluss zu stehen.
Und er wusste nur zu gut, wie nah Vernunft und Wahnsinn beieinanderlagen.
Später hörte Jeryd ein Klopfen. »Sir, ich bin’s, Tryst. Ich habe mir Sorgen um Euch gemacht. Ist alles in Ordnung?«
Endlich ein Freund, jemand, der helfen kann. Jeryd rieb sich die Augen, weil er so lange geweint hatte und sich inzwischen ganz empfindungslos vergegenwärtigte, was er getan hatte, als hätte er an die jüngsten Geschehnisse kaum mehr Erinnerungen. Er ließ Tryst und einen Schwung kalter Luft ein, versuchte zu erklären, was geschehen war, und starrte dabei auf den bewusstlosen Umriss Marysas, die so schwach atmete, dass er erneut weinen wollte.
Jeryd war froh, dass Tryst gekommen war. Gerade jetzt brauchte er jemanden, der klar denken konnte, da er selbst das sicher nicht vermochte.
»Ihr habt sie geschlagen?«, flüsterte sein Gehilfe.
Der arme Kerl sollte mich nicht so erleben müssen. Jeryd verharrte in bestürztem Schweigen und konnte einfach nicht glauben, was er getan hatte.
Tryst bückte sich, um sich Marysa im Halbdunkel näher anzusehen, und schlug vor, sie ins Schlafzimmer zu bringen. Zum Glück gab es keinen Hinweis auf eine Wunde, und er war erleichtert darüber, dass Rumel eine robuste Konstitution hatten.
Ab und an brach er in Schluchzen aus; Tryst versuchte ihn dann zu trösten, indem er ihm die Hand auf die Schulter legte. Sie trugen sie die schmale Treppe hinauf ins Ehebett, das für ihn nun eine ganz andere Bedeutung hatte. Ihr Schwanz hing schlaff herab, und ihre Miene war trügerisch friedlich. Er deckte Marysa sorgfältig zu, und Tryst führte ihn wieder nach unten.
»Wirst du mir jetzt keine Vorwürfe machen?«, fragte Jeryd schließlich.
»Natürlich nicht«, erklärte Tryst mit Nachdruck, und Jeryd war sofort mächtig erleichtert.
»Du bist ein anständiger Mensch, Tryst. Und ein guter Freund.« Er hätte ihm gern aus Dankbarkeit die Hand geschüttelt, schämte sich aber zu sehr. Was er getan hatte, war unverzeihlich . Sollte Tryst jemandem davon erzählen und Jeryd seine Stellung verlieren, hätte er das nur verdient.
Sein Gehilfe beruhigte ihn. Er klang zuversichtlich, und genau das brauchte Jeryd, die Stimme eines Menschen, der diesen Wahnsinn irgendwie im Griff hatte. Er stand
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