Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
auf und trat ans Fenster. Wieder sammelte sich Schnee auf dem Sims.
Er begann hilflos darüber zu schluchzen, welch ein Ungeheuer er geworden war.
»Versucht es zu vergessen!«, mahnte Tryst. »Ihr müsst Euch auf Eure Arbeit konzentrieren. Befasst Euch mit den Morden im Rat!« Er hielt inne. »Vielleicht vergibt sie Euch mit der Zeit.«
Falls sie ihn nach diesem Vorfall verließe und nie mehr mit ihm redete, würde Jeryd es ihr nicht verübeln. Der Gedanke, sie könnte mit einem anderen zusammen sein, war inzwischen nebensächlich. Genau wie jeder andere. Womöglich war ihm alles egal geworden.
»Lasst uns einen Spaziergang machen«, schlug Tryst vor. »Das hilft Euch, einen klaren Kopf zu bekommen.«
Ehe sie das Haus verließen, schrieb Jeryd Marysa eine Nachricht und zerriss den Zettel dann. Als ob Worte in dieser Lage etwas ausrichten könnten! Egal, was er notierte – es wäre zutiefst unangemessen, und er stellte sich ihre Reaktion vor, wenn sie den Zettel am Morgen las.
Die schiere Kälte ließ ihn langsam wieder zu Verstand kommen. Als er auf dem Eis ausrutschte und sich den Fuß ein wenig verstauchte, machte ihm das nichts aus. Er hatte das Gefühl, den Schmerz zu verdienen, als hätten das Wetter und Villjamur ihn mit leiser Ironie im Namen der Gerechtigkeit zu Fall gebracht.
KAPITEL 36
Sie kamen zwei Stunden vor der Morgendämmerung, und ihre Kleidung war schwärzer als die dunkelsten Straßenwinkel: Zwei Dutzend Mitglieder des Dawnir-Ordens sammelten sich vor der unscheinbaren Tür. Papus legte eine Metallschachtel mit einem aus Brenna bestehenden Relikt auf die Schwelle, veränderte die Einstellungen ein wenig und zog sich zurück.
Sekunden später explodierte die Tür, und zersplittertes Holz prasselte in einem unvermittelten Hagelschauer aufs Pflaster und die Nachbargebäude. In der Stille danach schlüpften Papus’ Genossen in den Sitz des Ordens der Tagundnachtgleiche. Bald drangen Schreie nach draußen. Messer wurden gezogen, im Halbdunkel rasche Gefechte ausgetragen. Sterbende röchelten, und das Blut gurgelte ihnen in der Kehle.
Sie verwendeten mehrere Aldartale , die die Männer und Frauen von Dartuns Orden erstarren und verwirrt und verschreckt minutenlang reglos dastehen ließen, sodass sie sie mit Seilen fesseln konnten. Wer nicht so aus dem Verkehr zu ziehen war, wurde umgebracht. Dartuns Relikte schienen die Wirkung vieler Instrumente von Papus zu hemmen, und so geschah vieles doch in Realzeit. Die aus alter Rivalität stammende Verbitterung entlud sich nun gewaltsam. Papus erwartete Antworten. Ihre vorausgegangene Drohung (die von ihr genommene Geisel) hatte keine Reaktion Dartuns bewirkt. Also würde sie das Gebäude durchsuchen, bis sie erfuhr, welche Geheimnisse hier verborgen waren und was sie noch nicht über Villjamur und die Länder der Roten Sonne wusste …
Und über Dartun selbst.
In vielen Zimmern gab es bestenfalls Kerzenlicht. Doch das reichte ihren Genossen, um die Suche zu beginnen. Sie hatte alles detailliert geplant. Vierunddreißig Mitglieder des Ordens der Tagundnachtgleiche wurden gefesselt auf die Gasse geschleppt. Sie vermutete, dass sich mindestens vierzig weitere Kultisten versteckt hielten und nun von ihrem Angriff wussten, flüsterte Strategisches und gab ihren Genossen Handzeichen, welche Gebäudeteile sie sich vornehmen sollten. Einige Flure waren mit einfachen Energieschilden blockiert, mit Relikten, die im Mauerwerk aktiviert waren. Diese Geräte waren einfach zu entfernen, da sie für normale Einbrecher gedacht waren, nicht dazu, Kultisten fernzuhalten. Entsprechend rasch rückten sie durch die geheimen Gänge und versteckten Gemächer vor.
Die Mitglieder des angegriffenen Ordens schossen ihre Waffen auf Papus’ Leute ab, und Wellen violetten Lichts fluteten durch die Luft. In der Dunkelheit waren sie leicht zu erkennen, doch bald konnte Papus wegen des blendenden Lichts nicht mehr klar sehen. Sie stolperte mehrmals, schrammte mit den Handflächen schmerzhaft über den kalten Steinboden, hörte Keuchen und zitterndes Atmen, Bluthusten und erstickte Schreie und konnte nur hoffen, dass sich darin die Niederlage des feindlichen Ordens bekundete. Dann hörten die Todeskämpfe auf.
Auf Papus’ Signal hin wurden am Eingang des Gebäudes Fackeln entzündet. Hier mochte es viel neue Technologie geben und unbekannte Relikte im Überfluss, die sie erbeuten konnte.
Sie suchte gründlich, obwohl sie nicht genau wusste, was. Alle Zimmer waren
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