Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
in seinem Haus im Kaiho-Distrikt wohnen zu lassen.
Marysa war noch da (Bohr sei Dank!), doch wenn sie ihn ansah, fühlte er sich stets furchtbar schuldig. Sie war mit Tuyas Ankunft einverstanden, ohne auch nur eine Frage zu stellen, und er konnte gleich wieder ins Büro zurückkehren.
Nachdem Jeryd den Großteil des Nachmittags über die jüngsten Entwicklungen nachgedacht hatte, sah er Tryst durch die kurvenreichen Flure des Inquisitionsgebäudes Richtung Ausgang streben.
Er folgte ihm eilig und mit fest umgeschlungenem Umhang in die Kälte.
»Tryst«, rief er über den frisch gefallenen Schnee, und seine Stimme hallte durch die Stille des frühen Abends.
Der junge Mann blieb stehen und schaute sich um. Als er Jeryd erkannte, kam er auf ihn zu. »Herr Ermittler, braucht Ihr mich?«
Jeryd musterte ihn von oben bis unten und kochte vor Wut. Er empfand einen seltsamen Respekt davor, dass dieser heimtückische Mistkerl sich offenbar zu sehr vielen Dingen hergeben würde, um seine Ziele zu erreichen. »Komm ein Stück mit mir – ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen.«
Auf dem Weg durch die Altstadt und zu den Höhlen hinab kamen sie an zwei Märkten vorbei, die für den Tag schlossen. Die Händler wirkten bedrückt über den Umstand, wegen des miserablen Wetters einmal mehr kaum Geschäfte gemacht zu haben. Einige Feuer, an denen Frauen gesottene Gewürzpasteten verkauften, brannten noch, und der Rauch hing geisterhaft in der kalten Luft. Schließlich erreichten sie eine Gegend, wo Jeryd die Unterhaltung fortführen konnte. Graffiti bedeckte die Mauern – persönliche Signaturen, Obszönitäten, Liebesbekundungen. In den feuchten Ecken wuchs das Moos nach Kräften.
»Was die ermordeten Ratsherrn angeht«, begann er, »hat diese Hure inzwischen etwas Neues darüber erzählt?«
»Leider nein, Sir.« Trysts gelassene Miene verriet keine Anzeichen von Betrug.
»Und wo genau ist Miss Daluud jetzt?«
Blitzte da nicht kurz Angst in seinen Augen auf?
»Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen«, erwiderte Tryst. »Im Moment jedenfalls nicht. Wollt Ihr sie sprechen? Wenn ich etwas mehr Zeit hätte, könnte ich Euch wohl einige Antworten liefern. Ich möchte mich unbedingt bewähren.«
»Ach ja?«, brummte Jeryd.
»Sir?« Tryst neigte den Kopf zur Seite und sah weiter unschuldig drein. »Ich glaube, ich komme nicht ganz mit.«
Jeryd musterte die heruntergekommenen Häuser ringsum mit ihren ramponierten Türen und Fenstern. Niemand sonst war in der Nähe. Die Sonne war beinahe versunken und beleuchtete die Szenerie nur noch trübe.
»Morgen verhafte ich sie«, sagte er dann. »Sie kann dir also leider nicht mehr helfen.« Die Panik in Trysts Augen bewies ihm, dass sein Gehilfe seinen Plan scheitern sah. Ungerührt fuhr Jeryd fort: »Du hast mit Tuya ein Ebenbild meiner Frau erschaffen, obwohl du da bereits wusstest, dass diese Hure eine Mörderin ist – du hast der Inquisition also wichtige Erkenntnisse vorenthalten. Das war ausgesprochen niederträchtig, doch es gibt noch mehr dunkle Punkte, die sich mächtig gegen dich aufsummieren. Die Verwendung verbotener Substanzen zur Beeinflussung Verdächtiger beispielsweise. Aber das ist es gar nicht, worüber ich wirklich sauer bin.«
Tryst schwieg und wich unwillkürlich zurück, bis er an eine kalte Mauer stieß.
»Nein.« Jeryd blickte die Gasse hinauf und hinab. »Mich empört, dass du meine Frau in deine bescheidenen Intrigen hineingezogen hast.«
Endlich ergriff Tryst das Wort: »Ihr wart es doch, der sie geschlagen hat –«
Jeryd rammte ihm die Faust in den Magen, und Tryst knickte an der Wand ein. Dann stieß der Rumel ihm das Knie ins Gesicht. Tryst stürzte in den Schnee und hielt sich die Nase. An der Wand klebten Blutspritzer.
»Hast du auch mir an jenem Abend Drogen verabreicht?«
Jeryd bekam erst eine Antwort, als er seinen Untergebenen in den Rücken trat. Tryst krümmte sich wie eine Brücke und stöhnte dann: »Ja, aber … «
Der Ermittler zog ein Messer aus dem Ärmel und starrte auf den Mann hinab, der vor ihm lag. Er könnte ihm an Ort und Stelle die Kehle aufschlitzen, und niemand würde es merken. Er könnte die Leiche zu den Höhlen schleppen, wo solche Dinge täglich geschahen. Doch dann verwandelte sich sein Zorn in etwas viel Ruhigeres und Kälteres. Wenn er ihn nicht umbrächte, würde man Tryst verhaften müssen – doch dann könnte er enthüllen, dass Jeryd seine Frau bewusstlos geschlagen hatte.
Tryst sah
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