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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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hob er die Münze und berichtete ihnen, unter welchen Umständen Papus sie ihm einst gegeben hatte. Die beiden warfen sich einen Blick zu.
    »Im Moment ist sie beschäftigt, aber falls Ihr warten mögt, fragen wir, ob sie Euch später empfangen kann«, sagte die Frau.
    Sie ließen ihn zusammengesunken im kalten Zimmer zurück. Als seine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte er langsam Einzelheiten der gerahmten Zeichnungen. Sie stellten Gegenstände dar, bei denen es sich wohl um Relikte handelte, die jeweils von seltsamen Buchstaben umgeben waren. Er konnte Jamur besser sprechen als lesen, und bei den Beschriftungen handelte es sich zudem um eine ältere Version dieser Sprache.
    Randur wartete fast eine Stunde, ehe er schließlich gerufen wurde.
    Er wurde in eine große, steinerne Kammer geführt, bei der es sich – nach den Büchern und Unterlagen zu schließen, die auf Regalen und auf dem Fußboden verstreut waren – um ein seit Jahren nicht aufgeräumtes Büro handelte. Auf Zehenspitzen arbeitete er sich durch das Durcheinander und setzte sich wie geheißen auf den Stuhl neben dem großen Spitzbogenfenster. Anscheinend war dies das Arbeitszimmer von Papus. Die zwei, die ihn hergeführt hatten, belegten sie mit dem grotesk anmutenden Titel einer »Gydja des Ordens der Dawnir«, was Randur etwas überkandidelt fand.
    Kaum hatten die beiden ihn allein gelassen, sah er aus dem Fenster und bemerkte ein seltsames blaues Geschöpf. Es flog von einem höher gelegenen Balkon in ungelenkem Bogen außer Sicht, tauchte wieder auf und ließ sich auf einem Mauervorsprung nieder.
    Die alte Kammer roch muffig, und so mancher Ziegel war gerissen oder gesplittert. Er wusste, dass die Stadt alt war, hatte aber nicht erwartet, dass Gebäude wie dieses noch standen. Überall Bücher, an den Wänden wie auf dem Boden – modrig, mit gebrochenem Rücken, zusammengeklebten Seiten und eingelegten Blättern voller Schaubilder und Gleichungen. Auch Gerätschaften gab es: merkwürdige Metallapparate, wie Randur sie nie gesehen hatte; insektenartig Anmutendes von präzis gearbeiteter und hoch entwickelter Gestalt.
    Als er all das zusammengetragene Wissen sah, befiel Randur hinsichtlich seiner Bildung ein Gefühl von Ungenügen. Zwar war er intelligent, doch hier begegnete ihm ein geordneteres Wissen: alte Sprachen, Geschichte, die Namen seltener Pflanzen und Tiere, während er sich vor allem mit Fechten, Tanzen und Frauen auskannte. Aber er war nicht auf den Kopf gefallen, und nicht jede Antwort ließ sich in Büchern finden – manchmal musste man die Wirklichkeit befragen.
    Die Tür ging auf, und eine Frau trat ein. Sie war gekleidet wie die beiden anderen Kultisten. Ihr Haar war dunkler als damals, und sie war schlanker.
    »Wer will mich sprechen?«, fragte sie mit tiefer Stimme und umwerfend blauen Augen.
    Randur ging zu ihr und zog seine Münze hervor.
    Sie nahm das Geldstück und musterte es. »Ich erinnere mich. Folke, 1757. Ihr seid der kleine Junge, der mich gerettet hat.« Sie gab ihm die Münze zurück und schenkte ihm etwas wie ein Lächeln. Ihre strengen Falten ließen vermuten, dass dies nur selten vorkam. »Ihr seid groß geworden.«
    »Das kommt vor«, murmelte Randur und schob die Münze in seine Tasche zurück. »Damals sagtet Ihr, falls ich je einen Gefallen bräuchte, solle ich Euch aufsuchen.«
    »Ihr hattet bisher also eine erfolgreiche Reise.« Papus trat an den Tisch und begann Unterlagen durchzusehen. »Und um welchen Gefallen handelt es sich?«
    »Ich muss einen Kultisten finden, der Menschen vor dem Sterben bewahren oder sie wieder zum Leben erwecken kann.«
    Sie musterte ihn ernst, legte ihre Papiere auf den Tisch zurück und trat einen Schritt auf Randur zu.
    »Schließlich hab’ ich Euch damals das Leben gerettet«, fügte er hinzu; eine Erinnerung, die – wie er fand – an dieser Stelle durchaus angebracht war.
    »Das habt Ihr, doch Ihr tretet mit einer ungemein schwerwiegenden Bitte an mich heran – ist Euch das überhaupt klar? Ich meine, warum wollt Ihr ewig leben?«
    »Es geht nicht um mich, sondern um meine Mutter.«
    »Verstehe.« Papus setzte sich auf die Tischkante. »Würdet Ihr bitte kurz warten?«
    »Das bin ich inzwischen gewöhnt.«
    Papus langte mit der Rechten unter ihren Umhang …
    … und verschwand in einem purpurnen Blitz.
    Randur sprang wie verbrüht auf, trat an den Tisch und musterte die Bücher und Papiere, als könnten sie ihm eine Erklärung geben. »Wie hat sie das

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