Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
nur geschafft?«
Er saß wieder auf dem Stuhl am Fenster und versuchte, eines der Bücher zu ergründen, was ihm aber eindeutig misslang. Immerhin kam er zu dem Schluss, dass ihn die Schaubilder künstlerisch ansprachen.
Die Tür ging auf, und Papus kehrte zurück.
»Diesmal benutzt Ihr die Tür?«
»Also«, begann Papus, »ich schulde Euch einen großen Gefallen und habe mit einigen Mitgliedern des Ordens darüber gesprochen, doch ich muss Euch leider sagen, dass Eure Bitte uns fachlich überfordert.«
Vielleicht war Randur naiv, doch das wurde frustrierend. »Aber ihr seid doch Magier, oder?«
»Nein«, erwiderte sie knapp.
»Nein?«
»Nein, wir sind viel mehr als das. Es geht nicht um plumpe Magie. Was wir tun, ist Handwerk und Kunst zugleich. Wir opfern Jahre, um die Feinheiten unserer Technik zu erlernen.«
Das klang nach einer oft gehaltenen Rede.
»Ihr habt mir damals etwas versprochen. Was schlagt Ihr also vor?«
»Nun, ich leite Euch an einen anderen Orden weiter. Macht Euch bitte klar, dass wir mit ihm eigentlich nicht das Geringste zu tun haben. Ich setze Euch keiner unmittelbaren Gefahr aus, aber Ihr müsst überaus vorsichtig sein. Denkt daran, dass ich das nur tue, weil Ihr mir vor vielen Jahren geholfen habt.«
»Dieser andere Orden scheint ja ziemlich widerlich zu sein«, gab Randur zurück. »Ich weiß nicht recht, ob mir diese Entwicklung gefällt.«
»Sagen wir so: Die Orden befinden sich in einer schwierigen Lage, und die Verhältnisse untereinander sind angespannt.«
»Euer Haufen und diese andere Gruppe mögen sich also nicht?«
»Das ist milde ausgedrückt.« Papus lachte. »Aber ich übergebe Euch nun an sie, und das ist der Gefallen, mit dem ich mich für Eure Hilfe revanchiere. Vermutlich werdet Ihr nie begreifen, was für eine enorme Gefälligkeit das ist.« Sie zögerte und fügte dann hinzu: »Wir haben vollkommen unterschiedliche Denkweisen.«
»Wie das?«, fragte Randur, dem ihre besorgte Miene nicht entgangen war.
»Um es möglichst einfach zu sagen: Der Orden der Tagundnachtgleiche neigt dazu, die Welt auseinanderzunehmen, während wir es vorziehen, sie wieder zusammenzusetzen.«
»Und weniger einfach gesagt?«, fragte Randur. »Ich bin neugierig.«
»Die Mitglieder des Ordens der Tagundnachtgleiche wollen die Welt auseinandernehmen, um ihre Geheimnisse zu entdecken und zu erfahren, wie alles funktioniert. Dabei scheren sie sich kein Jota um Moral. Sie sind skrupellos, grausam und zerstörerisch. Ich dagegen vereinige gern, wahre Ordnung und halte mich an hehre ethische Grundsätze. Unser Orden unterstützt den Rat von Villjamur und den Kaiser, wann immer sie uns brauchen. Und doch muss ich Euch zum Orden der Tagundnachtgleiche schicken, wollt Ihr jemals finden, wonach Ihr sucht.«
»Jedes Geldstück hat zwei Seiten.« Randur hatte die Münze wieder aus der Tasche gezogen. »Woher weiß ich, dass Ihr Euch meiner nicht bloß auf bequeme Weise entledigt?« Er schnippte die schimmernde Münze in die Luft.
Papus schnappte sie sich noch im Flug und drückte sie ihm in die Hand. »Kommt! Ich bringe Euch zu ihnen.«
»Zu wem genau?«, fragte Randur mit ein wenig zur Seite geneigtem Kopf.
»Zu Dartun Súr«, erwiderte Papus und wandte sich zur Tür. »Er ist Godhi des Ordens der Tagundnachtgleiche.«
»Sagt mir alles nichts«, brummte Randur.
»Das wird sich rasch ändern«, erwiderte sie spitz.
»Eine Frage noch: Was habt Ihr eigentlich dem Mann abgenommen, der Euch damals hatte töten wollen?«
»Das ist jetzt unwichtig. Es war eine Waffe, die Menschen verletzen sollte, aber es war nichts Raffiniertes, Weltveränderndes oder Prophetisches. Sie sollte ihm nur nicht in die Hände fallen. Wie gesagt, Randur: Wir sind es, die sich an Anstand und Moral halten. Wir versuchen bloß, Ordnung zu wahren und die Verhältnisse zum Wohle des Kaiserreichs zu schützen.«
Erneut ging es durch Villjamur.
Sie nahmen einen Weg, den er alleine nicht bemerkt hätte. Es ging durch beengte Gassen und über verborgene Brücken. Ein Großteil der Stadt war allmählich abgestorben: ungenutzte Räume und Torbögen, Reste einer anderen Zeit, die in der Gegenwart keinen Platz mehr hatten. Wenn sie Straßen unterquerten, hörte er, wie oben Karren vorangezerrt wurden, und wenn er durch Abflusslöcher hochschaute, sah er Leute gehen. Hier unten gab es diverse Arten von Mauerwerk, und wo Wasser durch die Ritzen tropfte, hatten Moos und Flechten die bröselnden Steine über und über
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