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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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und verzweifelter.
    Eine Stunde lang sortierte er seine Notizen vom Vortag und trank dabei eine Tasse kalten Tee, den seine Sekretärin Ghale ihm lange zuvor gebracht hatte. Sie hatte dunkles Haar und war attraktiv, doch sie hatte keinen Schwanz, und ihre Menschenhaut war für seinen Geschmack zu weich.
    Jeryd beschäftigte sich erneut mit seinen bisherigen Befunden. Delamonde Ghuda war dreiundvierzig, verheiratet und kinderlos. Einmal gewählt, hatte er fünfzehn Jahre als Ratsherr gewirkt und war stets im Amt bestätigt worden. Was immer das Volk wollte: Ghuda stand auf seiner Seite, und es vergalt ihm das bei den Wahlen. Nicht zuletzt ihm waren verschiedene Reformen in den Bereichen Bildung und Steuern zu verdanken; auch war er für ein Jahr Schatzmeister von Villjamur gewesen, ehe er zum Aufseher über alle Vorräte und Ressourcen des Kaiserreichs Jamur befördert worden war, auf einen Posten mithin, den er im Namen des Kanzlers versah. Vier Jahre lang hatte er dieses Amt nun innegehabt.
    Wem also mochte sein Tod gelegen gekommen sein?
    In diesem Moment trat Gehilfe Tryst ohne Anklopfen ein. »Herr Ermittler, wir haben eine Spur.«
    Jeryd schaute auf und unterdrückte ein Gähnen. »Toll. Raus mit der Sprache.«
    »Laut Zeugenaussage wurde der Ermordete am Vorabend der Tat in einer Taverne beim Trinken mit einer Frau in den Vierzigern gesehen.«
    »Das ist nicht weiter ungewöhnlich, Junge.«
    »Man hat sie zusammen weggehen sehen, und es soll sich um eine Hure handeln. Im Gesicht hat sie eine auffällige Narbe. Ein weiterer Zeuge hat die beiden einen Wohnturm nahe der Galerie betreten sehen.«
    »Toll, wir haben jetzt also einen Stadtrat, der zu Huren geht. Möchtet Ihr das seiner Gattin und den übrigen Ratsherrn erklären? Ich wette, dass wir den Befehl bekommen, dieses kleine Faktum für uns zu behalten. Und da der Rat ein Sinnbild der Wahrheit und Rechtschaffenheit sein soll … «
    Tuya wischte ihren Freier mit einem Handtuch ab und warf es in einen Korb in der Ecke. Der Mann hatte es schließlich doch nur mit der Hand besorgt bekommen wollen, was ihr zupasskam. Im letzten Moment hatte er es sich anders überlegt und gesagt, er wolle seine Partnerin nicht betrügen. Nun lag er auf dem Rücken und schnaufte eine Weile – Männer sahen so kläglich aus, nachdem sie gekommen waren.
    Beim Verlassen des Zimmers sagte sie: »Zieht Euch an und legt das Geld einfach neben das Bett. Gebt mir Bescheid, wenn Ihr geht.«
    Tatsächlich ließ er ihr mit vier Sota und zehn Lordil genug für eine ganze Woche da, und sie beobachtete, wie er sich in seiner schicken Robe auf den Rückweg in sein Büro im Schatzamt machte. Es wunderte sie nicht länger, wie ungemein gewöhnlich ihre Freier sein konnten. Sie kehrten zu ihrer Familie, ihrer Frau, ihrer Arbeit, ihren banalen Geschäften zurück und hegten dabei die ganze Zeit ihre heimliche Schuld. War das, womit sie ihren Lebensunterhalt verdiente, etwa verwerflich, wenn niemand verletzt wurde? Sie war kein armes Straßenmädchen, dem Schuld und Scham schlaflose Nächte bereiteten und in dessen Leben die Männer wie Geister kamen und gingen.
    Wie war sie an diesen Punkt gelangt?
    Dass sie zu Kapital geworden war und ihr Körper zu einer Ware, dass ihr Tun eine Dienstleistung darstellte – würde das dazu führen, dass sie in Villjamur gefangen bliebe? Sie argwöhnte, ihre Situation gleiche in mancher Hinsicht der Lage vieler anderer Frauen in der Stadt, ob sie nun als Mütter daheim blieben oder als Berufstätige ihr eigenes Geld verdienten. Denn solange Frauen als verhandelbares Kapital galten, war ihre Gleichberechtigung noch unvollständig. Wann war es zu spät gewesen, alles zu ändern? Hatte sie diesen Lebensstil überhaupt gewählt, oder hatte er sich ihr gebieterisch aufgedrängt?
    Seufzend kehrte sie zum Bett zurück, legte sich hin, zog die Decke über sich, sah dem Licht zu, das durchs Fenster fiel, lauschte den Geräuschen der geschäftigen Stadt …
    … und schloss die Augen.
    Jeryd klopfte, und schließlich öffnete ihm eine Frau, die nur ein dünnes Nachthemd trug, das nicht wärmte. Sie hatte rote Haare, eine recht füllige Figur und war der Typ, den man mitunter mit einem kleinen, teuren Abendessen rumbekam. Auf einer Gesichtshälfte hatte sie eine tief lilafarbene Narbe, und Jeryd gab sich alle Mühe, nicht draufzustarren.
    »Ermittler Rumex Jeryd von Villjamurs Inquisition.« Er hielt ihr seine Plakette hin. »Und das ist Gehilfe Tryst. Wir untersuchen den

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