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Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)

Titel: Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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die Relikt-Technologie der Dawnir zu versagen begann. Das war nun schon eine Zeit lang her: Plötzlich war da eine rote Linie auf der Haut gewesen. Er hatte sich direkt vor den Spiegel gestellt. Hatte die Kerze ganz nah ans Gesicht gehalten. Ja, da war ein Schnitt, der sich rasch mit Blut füllte. Rote Flüssigkeit tropfte ins Waschbecken – kleine Tropfen seines Todes.
    Unvermittelt war ihm bewusst, was alles töten konnte:
    Ein ausschlagendes Pferd.
    Enttäuschte junge Schwertkämpfer, die etwas beweisen wollten.
    Ein falsch gehandhabtes Relikt.
    Vergiftetes Essen.
    An jeder Ecke warteten Banshees.
    Er hatte möglichst viele wichtige Relikte eingepackt und schlaflose Nächte an fernen Orten verbracht, um zu ermitteln, was da vor sich ging, und so sein Altern zu verhindern. Er war völlig davon überzeugt gewesen, dass es ihm gelänge, eine Lösung zu entdecken.
    Ein Heilmittel gegen seinen heranrückenden Tod.
    Doch er hatte es noch nicht gefunden. Inzwischen trug er seine Gedanken in ein Tagebuch ein und staunte darüber, dass die Worte zurückblieben, wenn er selbst nicht mehr da wäre:
    Wie kann ich mich noch von jenseits des Grabes mitteilen? Wie kann ich zu euch sprechen? Durch Worte auf Papier – so und nicht anders. Leben wir dadurch weiter, durch diese kleinen Handbewegungen? In den Spuren, die wir in unserem Dasein hinterlassen – in einer Notiz hier, beleidigten Liebsten da? In etwas Schmerzlichem, das wir zu jemandem gesagt, einem Rat, den wir gegeben, einem Witz, den wir erzählt haben?
    In kleinen Teilen von uns, die wir der Welt schenkten?
    Sind sie es, die mich ewig leben lassen?
    Von diesen Gedanken und Randurs Besuch angespornt, zog Dartun sich tiefer in sein Labor zurück, um nach den Shelley-Tanks zu sehen.
    Ein verdunkelter Raum im letzten Winkel seines Ordenssitzes. Auf der einen Seite lagen sieben Leichen, die der gute, alte Tarr von den Straßen Villjamurs herbeigeschafft hatte, doch Dartun hoffte vor allem auf die in den Shelley-Tanks, schon allein, weil sie nicht tot waren. Die badewannenartigen Metallbehälter waren zweireihig aufgestellt und enthielten Regenerationsflüssigkeit, in die Körper eingelegt waren, deren Lippen die Wasseroberfläche von unten berührten.
    Es waren Verwirrte, Geisteskranke, schwer Entstellte, stark Körperbehinderte – Personen, die Villjamur und das Kaiserreich nicht zur Kenntnis nehmen und erst recht nicht pflegen wollten. Sie konnten zum kaiserlichen System nichts beisteuern und waren mit ihren gezeichneten Mienen noch vor Kurzem durch Seitengassen geschlichen.
    Dartun konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als vergessen und von jedem, dem er ins Gesicht sah, gemieden zu werden. Einer von ihnen hatte ihm gesagt, wenn die Leute nicht mit ihnen reden und ihnen nicht einmal in die Augen schauen wollten, könnten sie genauso gut tot sein. Sind wir darauf angewiesen, von anderen bemerkt zu werden, um zu wissen, dass wir am Leben sind?
    Er wollte an diesen Personen Experimente durchführen: Sollte er erfolgreich sein, würde ihnen dies einen Ausweg bieten – wenn sie nicht sterben konnten, würden sie dann überhaupt erst leben? Er wollte sehen, ob er ihr Leben mit seinen neu entwickelten Techniken zu verlängern vermochte. Danach konnte er sie an sich selbst ausprobieren.
    Chemikalien beeinträchtigten die Sicht.
    Halb blind zündete er in einer Ecke eine blaue Laterne an. Dort stand eine Reihe Tanks, in deren Flüssigkeit je ein verändertes, von schwachem Purpurschimmer umgebenes Relikt lag: Sie waren bereit. Von jäh auflodernder Angst geplagt, trat Dartun an den ersten, auf einer hüfthohen Plattform stehenden Tank, und das Licht auf seinem Gesicht machte ihm bewusst, dass sein Antlitz sich in der zähen Flüssigkeit spiegelte. Diese Körper ruhten in einer giftigen Chemiebrühe, die kein normaler Mensch auch nur eine Minute überleben konnte.
    Kaum hatte er die Relikte in den Tanks nacheinander abgeschaltet, begann die Flüssigkeit durch dicke Rohre abzulaufen, um tief unter der Stadt als giftiges Abwasser wieder zum Vorschein zu kommen. Als der Pegel sank, kam ein Männerkörper zum Vorschein; er war glänzend, glatt und nackt und hatte überall Narben von kleineren Operationen und größeren Neuverdrahtungen, die von Dartuns Bemühen zeugten, ihn zu konservieren. Er stieß ihm eine Spritze in die Brust, und binnen Sekunden zuckte der Mann und begann heftig zu zittern. Seine Augen öffneten sich, und er rang nach der Luft über ihm. Dann stieß er

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