Die Legende der roten Sonne: Nacht über Villjamur (German Edition)
Wirtshausschild. Wirklich, er stand vor dem »Garudakopf«, einem primitiv mit Kalk getünchten Bau, an dessen Fassade zwei Fackeln brannten. Während eine Blutlache sich um den Toten ausbreitete, näherte sich eine Banshee im Halblicht. Randur trat rasch in die Taverne.
Alle drehten sich musternd um, als der Fremde zur Theke ging, und das Gespräch wurde leiser. Trotz des umlaufenden Regalbretts mit seinen Kerzen war wenig zu erkennen. Die Wände waren schlicht und fast schmucklos – nur da und dort hingen Gemälde mit langweiligen und verblichenen Schlacht- oder Jagdszenen oder auch mal ein Seestück. Fischernetze waren unter die holzvertäfelte Decke drapiert. Randur wollte aufschnappen, worum es in den Unterhaltungen ging, konnte aber nur das gedämpfte Murmeln von Männern ausmachen, die in ihre Gläser sprachen.
Er lehnte sich mutig in der hinteren Ecke der Taverne an die Theke und wurde von rauen Gestalten durch Wolken von Tabaksrauch hindurch misstrauisch beäugt. Er roch Aronkraut, Bier und gebratenen Fisch, der wohl nebenan zubereitet wurde. Der Tresen stand voller Trinkkrüge und verschmutztem Geschirr, die abzuräumen sich niemand die Mühe gemacht hatte.
Randur zog ein Messer aus dem Ärmel, knallte es auf den Tresen und warf eine Handvoll Münzen daneben, die klirrend zur Ruhe kamen. »Bier«, erklärte er dem schmuddeligen Mann hinter der Theke.
»Da braucht Ihr mehr Geld als das«, erwiderte der fette Barmann und wischte sich den Schweiß von den Wangen.
Randur lachte verlegen, tat, als suchte er in allen Taschen, und legte noch einige Drakar auf den Tresen. »Mehr hab ich nicht.«
Der Barmann zählte langsam die Münzen und stieß dann ein beinahe zustimmendes Ächzen aus. Er wandte sich ab, um das Getränk zu zapfen. Nach dieser kleinen Vorstellung hielt sicher niemand Randur für beraubenswert.
»Ganz schön protzig«, raunte ein grauhaariger Mann rechts neben ihm und zeigte auf das Messer mit Onyxgriff, das Randur auf die Theke geworfen hatte. »Passt auf, dass Ihr das nicht abgenommen bekommt! Hier in den Höhlen kann man nicht vorsichtig genug sein.«
»Macht Euch da mal keine Gedanken!«
»Ich sag’s ja nur.« Der Alte schnäuzte sich in die Hände und wischte sie an seiner Hose ab.
Randur runzelte darüber die Stirn. Der Mann, der ihn angeredet hatte, war so dünn und wirkte so verhungert, dass er halb tot schien. Doch sein Umhang war in gutem Zustand und noch immer tiefgrün. Er trug mehrere Armreife und Broschen aus poliertem Kupfer, die allesamt Blättermotive aufwiesen, und selbst seine Stiefel waren blank geputzt.
Der dürfte mir keine großen Probleme machen, überlegte Randur und sagte: »Danke, dass Ihr Euch um mich sorgt!« Der Barmann stellte den Krug Bier auf den Tresen. Da Randur ohnehin unter falschem Namen in Villjamur lebte, fühlte er sich sicher genug, die Unterhaltung fortzusetzen. »Ich bin Randur. Und wer, bitte, seid Ihr?«
»Man nennt mich hier bei vielerlei Namen, Randur … «, begann der Alte. In seiner Stimme lag eine ans Prophetische gemahnende Autorität.
Randur wartete kurz, während der Mann vor sich ins Unbestimmte sah. »Nun, wenigstens einen davon werdet Ihr mir doch wohl sagen?«
»Nenn mich Denlin!«
»Gut, Denlin, was treibt Ihr so, wenn Ihr nicht gerade diese Kneipe unterstützt?«
»Ich bin Veteran der Achten Dragoner – nach vierzig Dienstjahren. Vier Jahrzehnte beim Militär.«
Randur nippte beiläufig an seinem Bier. »Und mit welchen Waffen habt Ihr gekämpft?«
»Mit Langbogen und Armbrust, Junge. Bogenschütze war ich, doch dann haben die Augen mich im Stich gelassen.«
»Und deshalb habt Ihr den Dienst quittiert?«, fragte Randur. »Weil Eure Sehkraft nachgelassen hat?«
»Das war eigentlich nicht der Grund«, räumte Denlin ein. »Ich bin kein schlechter Schütze – noch heute könnte ich an einem windigen Tag einen Garuda vom Himmel holen.« Er blickte auf den bierfleckigen Fußboden. »Zugegebenermaßen ist meine Sehkraft nicht mehr das, was sie einst war.«
»Wie auch immer, Bogenschütze Denlin«, erwiderte Randur und hob seinen Krug, »trinken wir auf die Dinge, die nicht mehr ganz so sind, wie sie einst waren.«
»Du bist zu jung, um solche Sprüche zu klopfen«, brummte Denlin. »So was sollte nur sagen, wer schon ein wenig Lebenserfahrung hat.«
Randur zuckte die Achseln. »Man braucht nicht alt zu sein, um zu wissen, dass das Leben viel Ungemach bereiten wird.«
Sie stießen an.
»Also, Junge, was führt dich
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