Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
Jeryd ihm an. »Die Inquisition wird nicht zulassen, dass Euch als Informant etwas zustößt.«
»Na bravo!« Der Händler lachte bitter. »Ihr glaubt, die Inquisition ist hart? Nicht so hart wie er. Nicht so erschreckend.«
Jeryd packte den Mann am Genick und zog ihn zu sich heran. »Wenn Ihr mir keinen Namen nennt, lass ich Euch wegen des Verkaufs von seltsamem Fleisch einbuchten – also keine Sperenzien.« Mit diesen Worten stieß er ihn von sich weg.
Der Händler kritzelte etwas auf ein Stück Papier, trat mit ratlos erhobenen Händen den Rückzug an, verschwand in einer Gasse und ließ seinen Stand unbeaufsichtigt zurück.
Jeryd las den Zettel, auf dem bloß »Malum« stand.
Er musste einigen Papierkram abarbeiten, und Nanzi wartete bereits mit dem Morgentee auf ihn – eine fürsorgliche Geste, von der er nicht genug bekommen konnte. Sie war in triste Brauntöne gekleidet und trug über der Bluse eine Strickjacke und dazu wie immer einen langen Wollrock.
Als sie ihn nach seinem romantischen Abend am eigenen Herd fragte, tat er das gelassen ab.
»Ich bin kein romantischer Typ«, log er im Wissen, stets vergeblich darum zu ringen, seine Nostalgie im Zaum zu halten.
»Sagt mal«, fragte er, »fürchten die Straßenhändler einen der Bandenchefs eigentlich besonders?«
»Ich hab was gehört … « Sie blickte rasch zur Tür, um sich zu vergewissern, dass sie geschlossen war. »Bisweilen wird gemunkelt … « Sie wies mit dem Kopf zur Seite und meinte alle anderen Mitarbeiter der Inquisition. »Einige Banden haben vieles unter Kontrolle, was in Villiren geschieht – lasst es mich so ausdrücken. Ich weiß nichts Genaues, aber sollten die Gangs die Inquisition schmieren, damit die über einige eher gewalttätige Unternehmungen hinwegsieht, würde mich das nicht wundern. Doch manchmal ist es besser, in dieser Behörde nicht nach Namen zu fragen, um nicht mächtigen Unwillen zu erregen. Ich allerdings lehne es ab, mich auf solche Sachen einzulassen.«
»Das freut mich – ein guter Ermittler hält sich stets von den Lockungen solcher Bestechungsgeschäfte fern.« Jeryd war absolut nicht erstaunt darüber, dass sich in einer so widerspenstigen Stadt wie Villiren solche Dinge zutrugen. Da er immer mehr zu der Überzeugung gelangte, dass sein Einsatz hier nur vorläufig war, interessierte ihn jedoch, wie tief der Bestechungssumpf reichte. Falls die Banden allzu eng mit der Stadtregierung verflochten waren, wäre es sinnlos, dort aufräumen zu wollen. Schließlich versuchte er, sich hier in Villiren für den Fall versteckt zu halten, dass er seiner letzten Amtshandlungen in Villjamur wegen verfolgt wurde.
»Warum wollt Ihr eigentlich mehr über diese Gangs herausfinden?«
»Zufällig bin ich auf schlechtes Fleisch gestoßen«, erwiderte Jeryd. »Ich hab bei einem Händler, der mir nichts verraten wollte, ein paar Steaks von zweifelhafter Herkunft gekauft. Vermutlich steckt nichts dahinter, aber ich will einfach Qualität fürs Geld. Diese Angelegenheit verfolge ich natürlich nur in der Freizeit – alles wird vorschriftsmäßig erledigt.«
»Habt Ihr schon eine Spur?«, fragte Nanzi vorsichtig.
»Einen Namen habe ich: Malum.«
»Der König der Unterwelt«, flüsterte sie ehrfürchtig.
»So heißt es, ja. Wahrscheinlich sind ziemlich viele Mitarbeiter dieser Behörde gewillt, über die Taten solcher Unterweltkönige hinwegzusehen. Etwas kriminalistische Arbeit dürfte also angezeigt sein.«
Jeryd und Nanzi verbrachten den restlichen Tag damit, Gerüchten nachzugehen.
Sie wurden von Bars in Bistros und weiter in unterirdische Spelunken geschickt und stießen auf einige ungemein brutal aussehende Männer der Unterwelt. Bandentypen – Jeryd erkannte sie sofort und durchschaute, was sie sich mit raschem Blick mitteilten. Gut, dass Nanzi dabei war, denn in ihrer Gegenwart hielten sie sich ein wenig zurück.
Jeryd sorgte dafür, dass sich herumsprach, die Inquisition wolle mit Malum sprechen. Die Spurenfülle schien unerschöpflich, doch gegen Abend gab ein ungepflegter Junge mit schlechten Zähnen Jeryd und Nanzi eine feste Adresse – und darüber hinaus eine Kabinennummer.
Seltsam …
»Kommt allein, schickt die Frau weg«, schärfte der Junge ihm ein, ehe er zwischen den vielen Basarbesuchern verschwand.
Nanzi führte Jeryd durch den Schnee zu einer Gasse in Narbenhaus. Sie ließ ihn, wie gefordert, allein und ging ohne ein Wort. Für dieses taktvolle Benehmen war er ihr dankbar.
Über einer
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