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Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)

Titel: Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mark Charan Newton
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Knie gezwungen, und das war eine deutliche Mahnung, sich nicht allzu sehr auf die Technik zu verlassen. Und schließlich zeigten die Fresken Szenen aus der Geschichte des Kaiserreichs Jamur (das inzwischen als Kaiserreich Urtica firmierte). Die Verzierungen verherrlichten mithin eine Größe, als deren Teil Nelum sich verstand und auf die er – wie alle Nachtgardisten – stolz war.
    Sein Dilemma allerdings lag darin, dass der Lebensstil seines Kommandeurs, der zugleich der höchste Offizier der Armee war, die glanzvollen Eigenschaften des Reichs und seine heiligsten Grundsätze beschmutzte.
    Nelum erinnerte sich der geflüsterten Unterhaltungen der Vergangenheit. Unter den Soldaten hatte es immer Gerüchte wie das gegeben, das Brynd ihm erzählt hatte. Im Lauf der Zeit sollte der Kommandeur an diesem oder jenem zwielichtigen Treffpunkt aufgetaucht sein, ohne dass es dafür aber verlässliche Zeugen gab, und Nelum hatte sich nie um dieses Gerede gekümmert. Brynd war ein großartiger Kämpfer und Kommandeur, und deshalb waren Nelum die anderen Dinge unwichtig erschienen. Manche erzählten von einem Mann in Villjamur, den Brynd mitunter abends aufsuchte, doch solange dies Geschwätz nicht über seine Einheit hinausdrang, wurde auch ihr Ruf nicht ramponiert. Leider aber waren solche Gerüchte nicht zu bändigen.
    Unausgesprochen hatte Brynd nun Nelums Argwohn bestätigt: Das eigentümliche Gehabe, die peinlichen Gesten, die angespannte Stimme des Kommandeurs – all dies erlaubte es Nelum nicht länger, über das Problem hinwegzusehen. Er wollte nur das Richtige tun, doch ihm fiel keine Lösung ein. Er brauchte dringend Rat.
    »Leutnant.«
    Wie vereinbart, erschien Priester Pias und streckte ihm den Handrücken entgegen, den Nelum küsste. Selbst die bloße Gegenwart des gelehrten Prälaten war schon beruhigend.
    »Prister Pias«, flüsterte er, die Lippen noch an dessen runzligen Fingerknöcheln, »ich brauche Euren Rat.«
    »Steh auf, Junge«, sagte der Priester, »und folge mir!«
    In einem Zimmer, dessen Kerzen, Rahmen, Stühle und Teller golden schimmerten und von Reichtum zeugten, tranken sie Tee. Wie oft hatte er das in Villjamur schon empfunden, sogar als kleines, unwissendes Kind, das nur widerstrebend zur Kirche gegangen war: Einmal mehr war er gebannt von der Schönheit, dem Weihrauch, den Heiligen Schriften.
    Als Priester Pias fragte, warum er gekommen sei, berichtete der Leutnant ihm von den Anschuldigungen gegen seinen Kommandeur.
    Der alte Priester nickte ernst und in tiefes Nachdenken versunken. »In den Augen unserer Kirche ist das natürlich eine Todsünde.«
    »Das ist mir klar, doch er streitet leidenschaftlich dafür, die Bewohner Villirens zusammenzuführen, um ihre Verteidigung zu stärken, und er bildet die hiesigen Soldaten hervorragend aus. Sein Ziel ist es, dieses Randgebiet des Reichs davor zu bewahren, in … es vor allen Übeln zu bewahren, die jenseits seiner Grenzen liegen.«
    »Ja, seine Absichten sind mir durchaus klar. Er war bereits hier und hat mich um Unterstützung gebeten.«
    »Sir, mir ist noch nicht aufgefallen, dass die Kirche in diesen Dingen eine Rolle spielt.«
    »Natürlich nicht.« Der Priester lächelte. »Aber das bedeutet nur, dass die alten Methoden funktionieren! Als das Kaiserreich sich immer weiter entwickelte, genügte die Peitschenhand irgendwann nicht mehr, die Untertanen zu disziplinieren. Man kann keine imperialistische Politik machen, wenn man nicht wenigstens als gerecht wahrgenommen wird. Wir haben doch Demokratie, würden die Leute sonst zetern. Es besteht die Illusion, die Menschen hätten in politischen Dingen Mitsprache. Um das Bewusstsein zu kontrollieren, braucht man viele Einflussmittel. Eines davon ist die Jorsalirkirche.«
    Nelum war entsetzt, zu hören, wie unverfroren die religiösen Überzeugungen der Leute manipuliert wurden.
    »Verliert nicht den Glauben, lieber Leutnant! Dies soll Euch nicht am letztgültigen Wort Bohrs zweifeln lassen. Das Zusammenwirken mit dem Reich ermöglicht unserer Kirche seit Jahrtausenden, zu blühen. Diese Symbiose liegt in jedermanns Interesse, und darum stehen weltliche und geistliche Ordnung sich noch immer nah. Diese Verbindung trägt übrigens auch dazu bei, die Kultisten unter Kontrolle zu halten.«
    Plötzlich erschien Nelum das goldene Funkeln im Zimmer unerträglich, und er hatte den Eindruck, das Kerzenlicht pralle von überall viel zu grell auf seine Netzhaut. »Mir war nie bewusst, dass es zwischen den

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