Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
er komme rasch wieder.
Aber nun … war sie sich dessen nicht mehr so sicher.
»Helft Ihr uns jetzt oder nicht?«, rief einer der Kultisten und riss sie aus ihren trüben Gedanken.
Sie kehrte an den Tisch und zu dem Relikthaufen zurück und überlegte stattdessen, wie sie der Stadt helfen könnte.
Eine Reihe Soldaten rückte vor.
Sie beobachteten, wie die Sechsten Dragoner geordnet stürmten und die Lücke schlossen, und schon preschten ihre Pferde auf eine Einheit Okun zu, die am anderen Ende der Straße postiert war. Zwischen den Nachtgardisten und den Feinden waren nur noch Pflastersteine, Blut und Schnee.
Brynd sah grimmig zu, wie die Dragoner in den engen Straßen kämpften. Pferde wurden durchbohrt oder von Okun-Krallen zerrissen; Reiter stürzten zu Boden, warfen sich zu Fuß erneut ins Gefecht und wurden zerhackt; und die ganze Zeit regneten Pfeile nieder und rafften mal den, mal jenen Feind dahin.
Soldat für Soldat fiel. Rasch wurde ihre Einheit aufgerieben, doch einige wenige konnten die feindlichen Linien durchbrechen und außer Sicht gelangen. Brynd blieb nur die Hoffnung, dass sie überleben würden.
Es gab eine kurze Pause, in der sich die Reihen der Feinde wieder schlossen. Kein einziger Kaiserlicher Soldat stand nun noch zwischen ihnen und der Nachtgarde.
Eine Reihe feindlicher Rumel in mattgrauer Rüstung zögerte am anderen Straßenende und schien zu spüren, dass die kaiserlichen Waffen durch eine List der Kultisten besondere Schlagkraft gewonnen hatten. Als Okun zu ihnen stießen, bildeten die Rumel mit ihnen eine beunruhigend symmetrische Formation, als wären sie nur verschiedene Teile eines fremdartigen Gebildes.
Brynd fragte sich, welches Empfindungsvermögen sie verbinden mochte, während der Feind mit erhobenen Schwertern und in vollkommenem Gleichschritt gestaffelt vorrückte.
Die Nachtgarde wartete. Dann bellte Brynd einige kurze Befehle, und seine Worte hallten von den leeren Gebäuden.
Sie galoppierten auf die Feinde zu, und der Abstand schwand rasend; erst waren es noch hundert Schritte, dann sechzig, dreißig, zwanzig. Brynd preschte näher und näher und dachte immer wieder: Sieh dir bloß nicht die Toten an! Sie stürzten sich in die Reihen der Feinde, und ihre Pferde bäumten sich auf, trampelten wild auf die erste Rumelreihe ein. Körper sanken unter der Wucht des Angriffs zusammen, Köpfe schlugen aufs Pflaster; dann glitt Brynd seitwärts aus dem Sattel, als sein Pferd auf dem blutnassen Pflaster ausrutschte. Es kam wieder auf die Beine, glitschte übers Eis und stürmte davon, um sich in Sicherheit zu bringen.
Weitere Nachtgardisten hatten sich unter die Kämpfer gemischt, und erbarmungslose Schreie erfüllten Brynds Ohren. Dann traf ihn etwas am Arm, zerriss ihm die Uniform und brachte ihm eine blutende Wunde bei. Im Vertrauen auf seine magisch verstärkte Kampfkraft stieß er wieder und wieder zu und traf rechts und links. Doch er reagierte rein intuitiv und dachte derweil: Mist, ich kann kaum was sehen!
Die Rüstungen der Okun splitterten unter Brynds Klinge wie Eierschalen, und er schlug mal hier, mal da einen Arm ab. Grotesk verzerrte Mienen tauchten für Bruchteile von Sekunden aus dem Gewoge, doch es gab auch Rumel, die fast aussahen wie die aus seiner Welt, und plötzlich bekam diese fremdartige Armee etwas peinigend Wirkliches. Er verspürte auch die Angst dieser Wesen und ihre unvermittelte Hoffnungslosigkeit, verdrängte sie aber und kämpfte sich weiter hackend, blitzschnell herumfahrend und den Gegner sperrend durchs Getümmel.
Dann hielt er kurz inne, um die Szenerie einzuschätzen, und rief der Garde einige taktische Befehle zu. Sofort gruppierten sich die berittenen Soldaten neu, setzten die Metzelei aber prompt fort. Das gab Brynd den erforderlichen Adrenalinschub. Wie leicht sein durch Relikte verbessertes Schwert durch die Rüstungen der Feinde glitt! Schwert rein, Blut raus, dann ein Streich, der diesen Wesen das Rückgrat brach. Eine Waffe verfehlte Brynds Kopf nur knapp. Er stieß die Klinge in eines der Geschöpfe und riss sie zur Seite: Schon stürzten ihm Innereien über den Arm.
Inzwischen spürte er, dass sein Gesicht mit Schweiß und Blut bedeckt war.
Sieh dir bloß nicht die Toten an!
Die Straße lag voller Leichen. Von überall ächzte es, und Metall klirrte auf Steine. Erschöpfung.
Die ständige Bewegung ließ alles ringsum flirren und raubte der Szene jeden Zusammenhang, doch er begriff rasch, dass er sich im Rücken des
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