Die Legende der Roten Sonne: Stadt der Verlorenen (German Edition)
und mit den Relikten auf den Dächern explodieren.
Schlagkräftigere Waffen kamen zum Einsatz. Es gab nun so viele Feinde, dass Katapulte angezeigt waren. Diese Geräte blieben normalerweise Belagerungen vorbehalten, doch das Neunte und Zehnte Infanterieregiment feuerte hinter der Frontlinie Trébuchets und Mangonels ab. Brynd beobachtete von der Zitadelle her, wie die mächtigen, fünf Pferde langen Konstruktionen – langsamen Bestien gleich, deren Kopf über die Dächer sah – in Position gebracht wurden.
Bald schossen sie gewaltige Trümmer auf die Invasoren. Schutt von Felsblockgröße zerschmetterte auch die Häuser ringsum, verhinderte das Vorrücken der Feinde und erschwerte ihnen, Schlüsselstellungen auszubauen. Brynd war klar, dass seine Leute emsig dabei waren, den Großteil der Stadt zu zerstören, doch das musste sein, um den Rest zu retten.
Vor dem Verlassen der Zitadelle beobachtete er noch, dass auch die Kadaver von Rumeln und Okun auf die Feinde katapultiert wurden.
Doch dann befahl er, diese Kriegsmaschinen zunächst nicht weiter einzusetzen.
Denn nun schlug die Stunde der Nachtgarde.
Sie rückten in einer Reihe an, die zwanzig Elitekämpfer in tiefschwarzem Gewand. Alle saßen auf Rappen, die trotz des Aufruhrs ringsum reglos dastanden. Brynd zog den Säbel und sah mattes Flackern an der Klinge, das auf Ordenstechnologie beruhte. Gut bewaffnet und durch eng anliegende Rüstungen bestens geschützt, ritten die Gardisten über die Boulevards an schaulustigen Bürgerwehrlern vorbei nach Osten. Brynd spürte das Gewicht der Erwartungen, während ihm der Rauch von Brenna -Bomben entgegenwehte.
Nur noch Minuten bis zur Front.
Ihn beunruhigten all die Zivilisten, die sich entgegen seinem Befehl nicht durch die Tunnel gerettet hatten, sondern im Kriegsgebiet ausharrten, weil sie ihre Häuser nicht verlassen wollten. Eine zerlumpte Frau kam wütend auf die Soldaten zugelaufen und packte Nelum bei den Füßen. Sie brüllte die Soldaten an, nicht länger zu kämpfen, und kreischte, vier ihrer Söhne seien beim ersten Angriff ums Leben gekommen. Brynd nickte seinem Leutnant zu, der sie sanft wegschob, und sie brach schluchzend zusammen, während die Nachtgarde weiterritt.
Dieser Krieg würde eine endlose und undankbare Aufgabe werden.
Brynd atmete tief ein und spürte sein Herz hämmern. Diese Minuten erschienen ihm als die längsten seines Lebens.
Ein Geschoss ließ die Ecke eines fünfzig Schritte entfernten Gebäudes einstürzen, und Trümmer prasselten auf den Platz. Frustrierenderweise hatte Brynd noch immer nicht ausmachen können, woher die Schweigebomben kamen.
Plötzlich fiel wieder eine Bombe in ein nahes Geschäft, doch die erwartete Explosion blieb aus. Seltsamer noch war, wie die Bombe zu Boden gegangen war: ganz langsam nämlich und fast so, als würde sie dabei ihre Form ändern.
Ein Dragoner ritt hin, um sich die Sache anzusehen. Brynd befahl Lupus, ihn zu dem Soldaten zu begleiten.
Das Gebiet war mit Trümmern und großen Mauerteilen übersät. Also saßen sie ab, banden die Pferde ans Geländer einer beschädigten Taverne und überquerten den Platz. Alte Männer und Frauen, die nicht kämpfen konnten, drückten sich in Hauseingängen herum, und einige Bewohner stemmten Bretter aus den vernagelten Fenstern, um zu sehen, was vorging.
Brynd und Lupus blieben neben der Bombe stehen.
»Was meint Ihr, was das ist, Sir?« Der junge Dragoner trat einen Schritt zurück. Die Gegenwart des Kommandeurs machte ihn offenkundig nervös.
Das vom Himmel gefallene Objekt wand sich im Schnee und fuchtelte mit den winzigen Armen. Es war von der Größe eines Säuglings, doch seine Haut war grau und schuppig, und sein düsteres, wie ein gotischer Wasserspeier anmutendes Gesicht spähte zu ihnen auf.
Es war ein lebendes Wesen.
Plötzlich verwandelten sich seine Beine in Flammen, und es stieß ein heiseres, manisches Lachen aus.
»Haut ab!«, rief Brynd.
Seine Begleiter wichen intuitiv zur Seite aus, während Brynd sich mit seinem Umhang den Mund zuhielt. Zugleich ertönte ein Schrei, der Boden bebte unter dem Druck einer Explosion, und Trümmer prasselten auf den Platz.
Brynd sah auf, um den Schaden abzuschätzen, und merkte, dass eine kleine Glasscherbe ihn ins Knie geschnitten hatte. Er ging über die Verletzung hinweg und stellte fest, dass Lupus fassungslos neben ihm stand. Sie gingen dorthin, wo das Wesen in die Luft gegangen war. Der Dragoner war tot. Die Explosion hatte ihm die Arme
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