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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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Ich habe mich bedankt. Ich habe mich völlig übertrieben bedankt. Es ist mir jetzt noch peinlich.“
    Soren wusste nur zu gut, was das Elfenkauzmädchen meinte.
    Nun aber waren sie wieder getrennt und Soren konnte nur hoffen und bangen, dass Gylfie irgendein Ausweg aus ihrer Zwangslage einfiel. Gylfie wiederum, die von Onk noch mehr Schlangenfleisch bekommen hatte, war träge und müde geworden. Onk hatte ihr sogar erlaubt, zwischendurch ein kurzes Nickerchen zu mache n … Noch eine Belohnung oder eher eine Bestechung? Aber Gylfie konnte nicht schlafen. Jedes Mal, wenn sie fast eingedöst wa r – schläfrig von dem saftigen Schlangenfleisch, an dem sie sich überfressen hatte, weil es viel zu viel für eine Eule ihrer Größe gewesen wa r –, jedes Mal, wenn sie beinahe eingeschlafen war, ging ihr ein Gedanke durch den Kopf und weckte sie wieder auf. In der Gruppe nebenan konzentrierte sich Soren mit aller Macht: Denk nach, Gylfie! Lass dir etwas einfallen!
    Tante Finny war wirklich sehr lieb gewesen. Als Soren in seine Gruppe zurückgekehrt war, hatte sie gemeint, dass sie noch nie so ein müdes Eulenkind gesehen hätte. „Du hast kein Auge zugetan, was?“
    „Glaub nicht, Tante“, hatte Soren erwidert.
    „Pass mal auf, Schätzelchen. Wie wär’s, wenn du in die gemütliche Felsnische da drüben hüpfst, wo dich keiner beobachten kann, und mal kurz die Äuglein zumachst?“
    „Sie meinen, ich soll schlafen?“ Soren biss sich sofort auf die Zunge. „’tschuldigung. Ich wollte keine Frage stellen.“
    „Ich meine, dass du dir ruhig ein bisschen Schlaf gönnen solltest, mein Lieber, und du brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen, dass du eine Frage gestellt hast. Am Anfang nehmen wir es damit noch nicht so genau.“
    „Aber Schlafen verstößt gegen die Vorschriften. Wir sollen wach bleiben, weil wir demnächst zur Arbeit eingeteilt werden.“
    „Vorschriften muss man manchmal missachten. Ich bin ohnehin der Ansicht, dass man mit euch neu dazugekommenen Kleinen nicht so streng umgehen sollte. Um Glaux’ willen, schließlich seid ihr Waisenkinder!“
    Soren konnte es immer noch nicht ertragen, als Waise bezeichnet zu werden. Er hatte Eltern und Geschwister! Zwar hätte er nicht sagen können, warum, aber Waise zu sein schien etwas, dessen man sich schämen musste, erst recht, wenn man gar keine war. Wurde man so genannt, verwandelte man sich irgendwie in ein ungeliebtes, verstoßenes Geschöpf.
    „Jaja“, setzte Tante Finny hinzu, „ich bin halt eine alte Glucke.“
    Was ist denn nun eine Glucke?, ging es Soren wieder durch den Kopf, aber diesmal verkniff er sich die Frage. Er hüpfte in die etwas erhöhte Felsnische und war selbst überrascht, wie mühelos ihm das gelang. Donnerwetter, dachte er, mit dem Hüpfer könnte ich glatt die Ästlingsprüfung ablegen! Dann wurde er plötzlich todtraurig, weil ihm einfiel, dass er noch nicht einmal die ersten paar Unterrichtsstunden bei seinem Vater hatte nehmen können.
    Trotz allem wollte sich der Schlaf nicht gleich einstellen, denn als Soren an die Ästlingsprüfung dachte, kam ihm zwangsläufig auch das Fliegen in den Sinn. Ihm fiel ein, wie er bei Kludds ersten Flugversuchen zugeschaut hatte. Eine schwache Erinnerung regte sich in seinem Hinterkopf, aber er bekam sie nicht zu fasse n … Er nickte ein.
    Plötzlich schreckte er auf, aber es war nicht Tante Finny, die ihn geweckt hatte. Es war etwas anderes, etwas Unaussprechliches. Abermals überkam ihn die sonderbare, mit Furcht gemischte Übelkeit. Sein Muskelmagen schmerzte. Er konnte der schrecklichen Wahrheit nicht ausweichen: Kludd hatte ihn aus der Bruthöhle gestoßen! Die Erinnerung traf ihn wie ein Blitzschlag. Auf einmal spürte er ganz deutlich die Krallen seines Bruders in der Flanke, spürte, wie er aus der Einflugöffnung geschubst wurde.
    Die Beine wurden ihm weich, er zitterte.
    Tante Finny eilte herbei. „Musst du würgen, Herzchen?“
    „Ja“, erwiderte Soren matt und würgte ein lächerlich kleines Gewölle aus. Kein Wunder. Er hatte noch nicht einmal Erste Knochen feiern können. Wie Kludd sich aufgespielt hatte, als er sein erstes Gewölle mit Knöchelchen darin ausgewürgt hatte! Ob man hier auch Erste Knochen feierte? Hier im Sankt Äggie waren die Bräuche so ganz anders. Zum Beispiel die feierliche Nummernverleihung. Das war doch keine Feier gewesen! Bei einer Feier sollte man sich als etwas Besonderes fühlen. Bei der Nummernverleihung hatte er gar nichts gefühlt.

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