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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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sollt ihr abgehärtet werden.“ Schwester Finny leierte den Satz herunter, als hätte sie ihn schon unzählige Male wiederholt.
    „Verstehe. Kaputte Flügel festigen den Charakter.“ Soren gab sich Mühe, zustimmend zu klingen und sich keinesfalls anhören zu lassen, wie ungeheuerlich er dieses Vorgehen fand.
    „Schön, dass du das verstehst. Freut mich wirklich sehr.“
    „Und ich dachte immer, dass Eule sein und Fliegen zusammengehören. Wie dumm von mir.“ Soren wurde immer besser.
    „Kluges Herzchen!“, rief Schwester Finny erfreut. „Du hast eine wunderbare Auffassungsgabe. Richtig, die Erlaubnis zu fliegen muss man sich verdiene n – wenn überhaupt.“
    „Ganz klar.“
    Diesmal musste sich Soren Mühe geben, ruhig zu sprechen, denn sein Magen krampfte sich zusammen, sein Herz schlug wie rasend und eine unbestimmte Angst drohte ihn zu überwältigen.
    „Ach, da kommt ja 12-8. Sie ist ein wunderbares Beispiel für eine SNF.“
    Soren begriff nichts.
    „SNF, Liebchen. Das ist die Abkürzung für ‚Soll Nicht Fliegen‘. Außerdem macht 12-8 eine Ausbildung zur Krankenschwester.“
    Wer war doch gleich Nummer 12-8? Soren ging alle ihm bekannten Nummern in Gedanken durch. 12-8 kam ihm vertraut vor, und da erblickte er auch schon die Fleckenkäuzin Hortense, die sich so gefreut hatte, eine Nummer zu bekommen, weil sie ihren Namen nicht leiden konnte. Sie hüpfte näher.
    „Komm zu uns, 12-8! Ich erteile dir deine erste Unterrichtsstunde in Krankenpflege“, trällerte Tante Finny.
    Hortense, beziehungsweise Nummer 12-8, blickte leerer drein denn je, aber sie rief aus: „Uiii, ein Patient, ein Patient! Bitte zeigen Sie mir, wie man Moosbrei herstellt, Oberschwester Finny!“
    Finny demonstrierte dem Kauzmädchen, wie man das Moos mit dem Schnabel zermalmte, bis es weich und schleimig wurde. Soren war es ganz recht, dass sich die beiden so hingebungsvoll um seine Flügel kümmerten. Die Schmerzen waren schon so gut wie verschwunden. Als ihm 12-8 den Moosbrei auflegte, musterte er sie forschend. Warum sollte sie nicht fliegen? Er überlegte, wie er das herauskriegen konnte, ohne eine Frage zu stellen, und begann so: „Ich glaube, ich habe dich heute Morgen im Gewöllorium gesehen.“
    „Oh nein, das ist ausgeschlossen. Ich arbeite ausschließlich als Glucke.“
    „Als Glucke“, wiederholte Soren. Hortense sagte nichts. „Als Glucke“, versuchte Soren es noch einmal. Hortense sagte immer noch nichts. „Es macht bestimmt Spaß, als Glucke im Gluckorium zu arbeiten.“ Das Wort hatte sich Soren rasch ausgedacht.
    „Ich arbeite nicht im ‚Gluckorium‘, so heißt mein Arbeitsplatz nicht.“ 12-8 sprach im leiernden Ton der Mondwirren.
    „Ach so. Klar, dumm von mir. Es heißt natürlich anders. Hab ich nur grade vergessen.“
    „Nein, du hast es nicht vergessen. Du weißt überhaupt nicht, wie mein Arbeitsplatz heißt. Niemand weiß das.“ 12-8 klang jetzt ein wenig gereizt. „Das ist streng geheim.“
    „Streng geheim.“
    „Streng geheim. Aber ich weiß Bescheid.“ Das Eulenmädchen plusterte sich stolz auf.
    „Du weißt Bescheid, wie man fliegt.“
    „Quatsch. So ein Blödsinn. Dann wüsste ich doch über das andere nicht Bescheid.“
    Aber willst du denn nicht fliegen? Soren hätte die Frage am liebsten herausgebrüllt. Doch da trat Finny wieder zu ihnen.
    „Du machst das großartig, 12-8. Du bist schon eine richtige kleine Krankenschwester.“
    „Meinen Flügeln geht’s auch schon viel besser“, sagte Soren mit gespielter Dankbarkeit und staunte selbst, wie rasch er gelernt hatte, sich zu verstellen. Zwar ging es seinen Flügeln tatsächlich besser, aber Soren wollte auf etwas anderes hinaus. Er wollte Antworten bekommen, ohne eine Frage zu stellen. „Ich erzähl euch mal, wovon es mir sonst noch besser geht, wenn ich mich nicht wohlfühle.“
    „Au ja, das möchten wir zu gern hören, Schätzelchen“, säuselte Finny.
    „Von Geschichten. Am liebsten höre ich die alten Geschichten über Ga’Hoole. Die Legenden von Ga’Hoole nennt man sie, glaube ich.“
    Tante Finnys Schnabel entfuhr ein Laut, halb Würgen, halb Kreischen, dann sank sie bewusstlos in sich zusammen.
    „Oh weh! Ich weiß nicht, was du zu ihr gesagt hast, 12-1, aber jetzt muss ich die Oberschwester sein und Schwester Finny pflegen.“ Die kleine Fleckenkäuzin stapfte davon, um eine Arznei zu holen.
    „Also ich weiß noch ganz gut, was ich gesagt habe“, raunte Soren vor sich hin. „Es ging um die alten

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