Die Legende der Wächter 3: Die Rettung
Soren sah die Sperlingskäuzin mit seinen schwarzen Augen durchdringend an.
„Ich weiß, was du jetzt sagen willst, Soren.“
Wenn sowieso jeder weiß, was ich sagen will, warum sage ich es dann nicht einfach?, ging es Soren durch den Kopf. Doch er zögerte.
„Es geht mir nicht um meine Eltern. Die sind tot.“
„Wie kommst du darauf?“, fragte Gylfie.
„Könnt ihr euch noch an den Besuch von Krämer-Ellie erinnern?“
Diese Nacht würde Soren sein Leben lang nicht vergessen, denn da war Eglantine seit ihrer Rettung zum ersten Mal wieder sie selbst gewesen. Es war eine wunderschöne Sommernacht gewesen. Auf einmal hatte der Himmel in prächtigen Farben geleuchtet, wie Soren sie noch nie erblickt hatte. Es war, als hätte der Himmel selbst Eglantines Genesung feiern wollen und ihnen darum eine Aurora Glaucora geschickt, so nannte man dieses seltene Phänomen. Die ganze Nacht waren die Bewohner des Großen Ga’Hoole-Baums durch das Farben sprühende Firmament geflogen.
„Natürlich erinnere ich mich.“ Es war wirklich ein unvergesslicher Augenblick gewesen, leider auch, weil in dieser Nacht das Gerücht von Ezylrybs Verschwinden zur Gewissheit wurde. Doch Soren hatte einfach nur in den herrlichen Farben geschwelgt und den Gedanken an seinen Lieblingslehrer für ein paar Stunden verdrängt.
„Ich erinnere mich auch noch gut daran, denn in dieser Nacht bin ich den Geisterschnäbeln meiner Eltern begegnet“, fuhr Primel fort.
„Wie bitte?“, riefen die anderen Eulen bestürzt.
„Du bist den Geisterschnäbeln deiner Eltern begegnet?“, wiederholte Gylfie und ihre Stimme klang tieftraurig. Zwar war der Elfenkäuzin nicht entgangen, wie bedrückt ihr Freund Soren seit seinem Erlebnis im Geisterwald war, trotzdem sehnte sie sich genau wie Eglantine nach einem letzten Wiedersehen mit ihren eigenen Eltern.
Primel nickte. „In der Nacht der Aurora Glaucora bin ich ihnen begegnet.“
„Hatten deine Eltern auch noch etwas hier auf Erden zu erledigen?“, fragte Soren und dachte im Stillen: Wie viele Aufgaben sollen wir eigentlich noch zu Ende bringen?
„Nei n … aber sie wollten mir sagen, dass ich bei dem Waldbrand mein Möglichstes getan habe, um das Gelege zu retten. Dass sie mir keine Vorwürfe machen, sondern stolz auf mich sind. Das war ihre letzte Tat auf Erden: mir zu sagen, dass sie stolz auf mich sind.“ Eine ganze Weile herrschte Stille, dann sprach Primel weiter. „Es war also überhaupt nicht wie bei dir, Soren. Ich konnte mich mit meinen Eltern nicht auf dieselbe wortlose Art verständigen, wie du sie Eglantine beschrieben hast.“
Soren blickte seine Schwester streng an. Warum hatte sie Primel davon erzählt?
„Nein, bei mir war es ganz anders.“
„Inwiefern?“
„Meine Eltern waren schon in Glaumora.“
„Woher weißt du das?“, fragte Soren ungläubig.
„Ich habe sie dort gesehen. Und sie haben mich auch gesehen. Sie waren glücklich. Sie wussten, dass ich alles getan habe, um die Eier meiner ungeschlüpften Geschwister zu retten. Sie wussten, dass ich hier im Baum gut aufgehoben bin. Auch sie hatten nie geglaubt, dass es Ga’Hoole wirklich gibt, aber jetzt konnten sie sich selbst davon überzeugen. Und ic h … ich war auf einmal überglücklich. Es kam mir vor, als ob inmitten der Aurora Glaucora ein Strom von Glück und Frieden zwischen uns hin- und herfloss.“ Primel sprach jetzt so leise, dass sie kaum noch zu verstehen war.
„Ein Strom von Glück“, wiederholte Soren betroffen. Niemand hatte eine Warnung ausgesproche n – es war überhaupt nicht gesprochen worden. Primel war einfach nur glücklich gewesen. Einen Augenblick lang stellte Soren sich vor, wie zwischen seinen Eltern und ihm und Eglantine ein Strom von Glück hin- und herfloss, verscheuchte den schönen Traum jedoch gleich wieder. Was er nun zu sagen hatte, kostete ihn große Überwindung. Er musste Primel und Eglantine mitteilen, dass sie nicht mitkommen konnten.
„Weißt du, Primel, irgendwann werden wir deine und Eglantines Hilfe brauchen.“ Er hielt inne.
Eglantine rief entgeistert: „Du willst mich nicht mitnehmen? Aber du hast es versprochen!“
„Du bist noch nicht so weit, Eglantine. Das sieht man auch daran, dass du dich gegenüber Primel verplappert hast.“ Soren wandte sich der Sperlingskäuzin zu. „Primel, du bist natürlich stark genug, keine Frage, aber wir denken, dass wir mehr Erfolg haben, wenn wir nicht so viele sind.“
„Schon gut, Soren. Ich bin nicht
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