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Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe

Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe

Titel: Die Legende der Wächter 6: Die Feuerprobe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathryn Lasky
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Trotzdem freute auch er sich, dass ihr gemeinsames Küken unter so günstigen Umständen das Ei verlassen würde. Nyra war selbst bei Mondfinsternis geschlüpft. Solche Eulenkinder verfügten angeblich über ungewöhnliche Kräfte. Manchmal bewirkten diese Kräfte Gutes und verliehen der jungen Eule besondere Seelenstärke. Manchmal entwickelte die betreffende Eule aber auch einen besonders schlechten Charakter und außerordentliche Bosheit. Nyra jedoch beschäftigte sich nicht mit Gut und Böse. Ihr ging es einzig und allein um Macht. Wer an der Macht war, dem konnte es egal sein, ob ihn andere gut oder böse fanden.
    Kludd beschäftigte jedoch noch etwas anderes als das Schlüpfen seines ersten Kükens. Die Mondfinsternis war auch aus einem anderen Grund von Bedeutung. Womöglich würden die Wächter von Ga’Hoole gerade in dieser Nacht zuschlagen. Eine Nacht, in der die Sonne den Mond nicht beleuchtete, war für einen Überfall geradezu ideal. Darum hatte Kludd auch vorsichtshalber darauf bestanden, dass Nyras Nest sich am äußersten Rand der Schluchtenlandschaft befand.
    Kludd hatte die Felsen um das ehemalige Euleninternat herum mit Tupfenbatterien gesichert. Auf den höchsten Felsgipfeln hatte er Wachen postiert, die jeden Eindringling sofort entdecken würden. Er hatte seine beiden fähigsten Leutnants, Uglamore und Stürmer, zu Truppengenerälen befördert und mit ihren Einheiten an die beiden Hauptzugänge nach Sankt Äggie verlegt: an das sogenannte Uhutor, wo zwei schroff aufragende Felsen an die Federohren eines Uhus erinnerten und an den Glauxschnabel, einen anderen hohen Felsen. Über beiden Zugängen flogen Späher Tag und Nacht Patrouille. Im Luftraum über Sankt Ägolius ließ sich keine Krähe mehr blicken. Niemand wollte sich mit den schwer bewaffneten Eulen anlegen. Einer der von Kludd angeheuerten Söldner aus den Hinterlanden war ein hervorragender Schmied, der sogar Feuerkrallen anfertigen konnte. Das waren Kampfkrallen, in deren Spitzen man glühende Holzkohlen legte. Feuerkrallen waren die gefährlichsten Nahkampfwaffen überhaupt. Mit ihnen konnte man den Gegner gleichzeitig zerfetzen und in Brand stecken. Sie galten als „schmutzige Waffen“, denn sie konnten nicht nur den Gegner schwer verletzen, sondern auch die Füße ihrer Träger nach und nach verkrüppeln. Deshalb weigerten sich viele Schmiede, sie herzustellen.
    Kludds Truppen waren sowohl im Kampf mit brennenden Ästen ausgebildet als auch im Umgang mit Feuerkrallen. Kludd war bereit für die Schlacht. Er war bereit für die Begegnung mit den Wächtern von Ga’Hoole und vor allem war er bereit für das Wiedersehen mit seinem Bruder Soren. Er schloss hinter seiner Maske die Augen und stellte sich vor, wie sich seine Kampfkrallen in den Bauch seines Bruders bohrten. Er malte sich aus, wie Soren im Todeskampf röchelte und schließlich sein Leben aushauchte.
    Oben auf dem Glauxschnabel saß Uglamore auf einem Felsvorsprung und suchte mit den Augen den Himmel ab. Wann kommen sie? Wann? Bestimmt suchten sich die Wächter eine mondlose oder bewölkte Nacht aus, das war nur logisch. Dichte Wolken, die Angreifern Deckung boten, kamen in dieser Gegend allerdings ebenso selten vor wie Bäume. Die Äste für den Feuerkampf hatten die Reinen aus Ambala und dem Schattenwald eingeflogen, auf Mond und Wolken konnten sie leider keinen Einfluss nehmen.
    Ein Windstoß fuhr durch Uglamores Gefieder und sein Magen erschauerte. Die Wächter von Ga’Hoole waren unberechenbar. Sie hielten sich nicht an die Gesetze der Logik und auch sonst an keine Vorschriften. Das fand Uglamore ausgesprochen beunruhigend. Die Eulen vom Großen Ga’Hoole-Baum waren frei. Sie konnten tun und lassen, was sie wollten. Sie kannten keine Disziplin, jedenfalls nicht den Drill und den bedingungslosen Gehorsam, die bei den Reinen und in Sankt Ägolius herrschten. Das sah man schon daran, dass die Wächter in lockeren, beinahe beliebigen Formationen flogen statt in streng festgelegten Figuren wie die Reinen.
    Und doch hatten die Wächter die Schlacht in den Schnabelbergen gewonnen, obwohl sie in der Unterzahl gewesen waren. Sie hatten sich einer List bedient, indem sie den Reinen vorgegaukelt hatten, sie hätten scharenweise Verstärkung aus den Nordlanden bekommen. Wie kam eine so undisziplinierte Bande auf so eine geniale Idee? Die Reinen hatten schmachvoll der Rückzug antreten müssen. Der Triumph der Wächter hatte nichts mit Disziplin und Kampfgeschick zu tun, sondern

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