Die Legende der Wächter – Der Zauber
Enden brennenden Ast einen knurrenden Wolf in die Enge.
„Du!“, entfuhr es der überraschten Nyra.
Im selben Augenblick stimmte Morgengrau eins seiner berüchtigten Spottlieder an. Er grölte aus voller Kehle:
Die Oberste Mutter ist ein hässliches Vieh,
So eine Fratze sah ich noch nie.
Sie ist so dumm wie Möwenschiss,
Weiß nicht, wo vorn und hinten ist.
Oberste Mutter? Lächerlich!
Oberstes Monster – das sage ich!
Zicke, zacke, Mäusedreck,
Ich finde dich in jedem Versteck.
Her und hin, hack und hick,
Dann breche ich dir das Genick!
Nyra war so überrascht, dass sie im Flug schlingerte. Dann riss sie sich die Kampfkralle vom Fuß, schwang sie wie ein Schwert und stürzte sich auf den Bartkauz. Blut und Funken spritzten auf. Morgengrau verlor an Flughöhe. „Nein!“, schrie jemand verzweifelt.
„Doch! Der große Morgengrau stürzt ab!“, rief Nyra triumphierend. „Morgengrau muss sterben! Tod dem Mörder meines Gatten!“ Sie sauste quer durch die Höhle.
„Haltet sie auf!“
Der Tunnel der Verzweiflung! Sie darf nicht entkommen! , schoss es Digger durch den Kopf. Mit seinem beidseitig brennenden Ast versuchte er den Höhlenausgang zu versperren. Aber Nyra war schneller. Dann stürzten sich drei Wölfe auf den Höhlenkauz. Es gelangihm, den Schwanz des einen in Brand zu stecken, aber Nyra und die beiden anderen waren verschwunden.
„Ich fliege ihnen nach!“ Coryn fegte mit seinem Feuer speienden Ast an Digger vorbei.
Diggers Ast war so lang, dass er nicht in den engen Tunnel passte. Kurz entschlossen brach er ihn über einem Felsvorsprung mitten durch. Dann folgte er seinem Freund. Er musste Coryn beistehen, denn der Schleiereulerich würde sich unter der Erde nicht zurechtfinden. Gylfie konnte das nicht übernehmen. Sie kannte sich zwar in dem unterirdischen Gängegewirr aus, doch sie kämpfte Cody den Weg zu der Nische mit dem Buch frei.
Mit einem glimmenden Aststück in jedem Fuß flog Digger hinter Coryn her. Es war ihnen nicht gelungen, den Kampfplatz auf die Höhle zu beschränken. Diese Schlacht würde tief unter der Erde ausgetragen werden.
Tief unter der Erde – aber vielleicht nicht tief genug. Durch einen Spalt im Fels fiel ein Mondstrahl herein, schmal wie eine Dunenfeder.
„Merkwürdig …“, sagte Doktor Schönschnabel halblaut. Er landete auf einem Felsvorsprung ganz in der Nähe der Höhle, in der die Schlacht tobte.
„Was ist denn?“, fragte Madame Plonk.
„Ich hatte die Spur Ihrer Freunde aufgenommen. Ich habe sie nicht verloren, das nicht, aber es kommt mir vor, als ob sie hier plötzlich abbricht. Als wäre sie vom Erdboden verschluckt.“
„Wie kann das sein?“ Madame Plonk wusste nicht recht, wie sie den gut aussehenden, wohlerzogenen Schnee-Eulerich anreden sollte. Sie waren nun schon länger als zwei Nächte zusammen unterwegs. „Doktor Schönschnabel“ klang schrecklich förmlich, außerdem war es zu lang. Seinen Vornamen kannte sie aber nicht. Einfach nur „Doc“ fand sie zu vertraulich und „Schöni“ ging schon gar nicht.
Madame Plonk blinzelte ratlos … und blinzelte gleich noch einmal. Über einer Vertiefung in der Felslandschaft vor ihnen leuchtete etwas Helles. „Was ist das?“, raunte sie. Im Schein des Mondes schwebten zwei gelbe Schlitze über dem Boden.
Die beiden Schnee-Eulen flogen geräuschlos näher heran.
„Das ist … das ist …“ Doktor Schönschnabel zögerte, dann flüsterte er: „… ein Wolf!“
Der Boden schien in Wallung zu geraten, dann sprühten plötzlich Funken auf. Ein Vulkan? Hier?, dachte Schönschnabel verwundert. Nein, das war kein Vulkan. Trotzdem war es, als würde die Erde bersten und Funken, Wölfe und Eulen ausspucken. „Eine Höhlenschlacht!“, rief der Kundschafter aus.
Teilweise kämpften Eulen mit brennenden Ästen gegen andere Eulen. Manche Eulen flogen mit ihren Feuerwaffen aber auch auf Wölfe los. Die Schlacht spielte sich sowohl über als auch unter der Erde ab.
Madame Plonk schnappte nach Luft. „Da ist Coryn! Coryn, unser König!“
Die beiden Schnee-Eulen sahen dem seltsamen Schauspiel staunend zu. Aber es wurde sogar noch seltsamer. Einige Wölfe stellten das Kämpfen ein und führten im Schein des vollen Mondes eine Art Tanz auf. Dabei wuchsen sie zu riesenhafter Größe an. Der Kundschafter und die Sängerin trauten ihren Augen nicht.
„Gütiger Glaux!“, entschlüpfte es Madame Plonk.
„Wir müssen ihnen helfen!“, sagte Doktor Schönschnabel energisch.
Vier
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