Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
in zwei Reihen Aufstellung, nach Alter und Körpergröße geordnet. Dann trennte er uns nach Geschlecht. Die Mädchen wies er auf einen Platz weiter hinten und rechts von uns. »Ich dulde keine Ablenkungen und kein störendes Verhalten. Ihr seid hier, um zu lernen, nicht um euch zu vergnügen«, warnte er. Seine nächste Anweisung lautete, wir sollten auf Armeslänge von unserem Nebenmann wegtreten, bis sich unsere Fingerspitzen nicht mehr berührten. Daraus schloß ich, daß uns körperliche Übungen bevorstanden, doch wir mußten stillstehen und zuhören, während er seine Ansprache hielt.
»Seit siebzehn Jahren bin ich nunmehr Gabenmeister dieser Burg. Bisher habe ich kleine Gruppen unterrichtet in aller Stille. Wer keine ausreichende Begabung zeigte, wurde abgewiesen. Während dieser Zeit bestand angesichts der Situation in den Sechs Provinzen keine Erfordernis, mehr als eine Handvoll Schüler auszubilden. Ich wählte nur die meistversprechenden aus und vergeudete keine Mühe an solche ohne Talent oder Disziplin. Und in den letzten fünfzehn Jahren habe ich niemanden mehr in den Stand eines Kundigen der Gabe erhoben.
Aber die Zeiten haben sich geändert. Die Roten Korsaren verheeren unsere Küsten und tun unserem Volk Gewalt an. König Listenreich und Prinz Veritas machen von ihrer Gabe Gebrauch, um uns zu schützen. Groß sind ihre Mühen und zahlreich ihre Erfolge, obwohl der Mann auf der Straße nichts davon ahnt. Ich versichere euch, gegen die Träger der Gabe, die ich herangebildet habe, können die Outislander nicht bestehen. Es mag ihnen gelungen sein, uns einige Male zu überrumpeln, aber die Kräfte, die ich geschaffen habe, um ihnen zu widerstehen, werden sich als stärker erweisen.«
Ein Feuer brannte in seinen fahlen Augen, und er reckte die Hände zum Himmel, wie um die helfenden Mächte zu beschwören. Lange stand er schweigend so da, dann ließ er die Arme wieder sinken.
»Dessen bin ich gewiß«, fuhr er ruhiger fort. »Dessen bin ich gewiß. Die Kräfte, die ich geschaffen habe, werden bestehen. Doch unser Souverän, mögen alle Götter ihn segnen und erhalten, zweifelt an mir, und da er mein König ist, beuge ich mich seinem Willen. Er verlangt, daß ich mich unter euch von geringem Blut umschaue, ob ich welche finde mit der Befähigung und dem Willen, der Entschlossenheit des Strebens und der Lauterkeit der Seele, um ein würdiger Schüler der Gabe zu sein. Dies werde ich tun, dem Befehl meines Königs gehorsam. Der Überlieferung zufolge hat es in früherer Zeit viele der Gabe Kundige gegeben, die an der Seite ihres Königs für die Sicherheit des Reiches wirkten. Vielleicht verhielt es sich wirklich so, vielleicht übertreiben die alten Sagen. Wie auch immer, mein König erwartet von mir, daß ich ihm nach dem Muster der alten Bräuche eine Kordiale von Kundigen schaffe, und deshalb will ich es versuchen.«
Die fünf Frauen im Hintergrund schienen für ihn nicht zu existieren, denn er würdigte sie keines Blickes. Was mochten sie ihm getan haben, das diese offensichtliche Geringschätzung rechtfertigte? Serena kannte ich flüchtig, weil auch sie eine gelehrige Schülerin Fedwrens gewesen war. Fast glaubte ich, die Erbitterung zu spüren, die in ihr brannte. In der Reihe neben mir scharrte einer mit den Füßen. Wie ein Habicht stieß Galen auf ihn hinab.
»Ungeduldig sind wir, ja? Gelangweilt vom Gerede eines alten Mannes?«
»Ich habe einen Krampf in der Wade, Herr«, verteidigte sich der Junge unklugerweise.
Galen schlug ihm den Handrücken ins Gesicht. »Schweig und steh still. Oder geh. Mir ist es gleich. Schon jetzt zeigt sich, daß dir die Ausdauer fehlt, um ein Kundiger zu werden. Aber der König hat dich für würdig befunden, hier zu sein, deshalb werde ich versuchen, aus unwertem Material etwas Brauchbares zu formen.«
Ich bebte innerlich. Denn während Galen zu dem Jungen sprach, sah er mich an. Als trüge ich die Schuld an der Störung seines Monologs. Eine Welle der Abneigung gegen diesen Mann durchströmte mich. Unter Hods Fuchtel hatte ich manchen Knuff einstecken müssen und selbst bei Chade einiges Unbehagen erduldet, wenn er Griffe und Strangulierungstechniken demonstrierte und Methoden, einen Mann zum Schweigen zu bringen, ohne ihn zu verletzen. Von Burrich hatte ich meinen Anteil an Kopfnüssen und Maulschellen erhalten, manche gerechtfertigt, andere Ausbruch der Ungeduld eines vielbeschäftigten Mannes. Doch Galen hatte es Freude bereitet, den Jungen zu schlagen,
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