Die Legende vom Weitseher 01 - Der Adept des Assassinen
ließ der Narr Burrich, Fäustel und mich allein, und ich kann mich nicht erinnern, daß bis dahin ein Wort gesprochen worden wäre. Burrich legte mich auf sein eigenes Bett und schob es anschließend in die Nähe der Feuerstelle. Mit der Wärme kamen die Schmerzen; ich überließ meinen Körper Burrich, Fäustel meine Seele und entsagte für geraume Zeit der bewußten Welt.
Als ich die Augen aufschlug, war es Nacht. Dieselbe noch oder eine andere? Burrich saß neben mir auf einem Stuhl, hellwach, aufrecht. Verbände schnürten meine Brust ein. Ich hob die Hand, um danach zu tasten, und bemerkte erstaunt zwei geschiente Finger. »Sie waren geschwollen und nicht allein von der Kälte«, sagte Burrich. »Ich konnte nicht feststellen, ob sie gebrochen waren oder lediglich verrenkt, deshalb habe ich sie zur Sicherheit geschient. Wahrscheinlich ist es aber eine Verrenkung. Wenn sie gebrochen wären, hätten die Schmerzen, als ich sie einrichtete, sogar dich aufgeweckt.«
Er sprach mit einem sachlichen Gleichmut, als ginge es darum, daß er einen neuen Hund vorbeugend gegen Würmer behandelt hatte. Und wie seine besonnene Stimme und Ausstrahlung ein ängstliches Tier zu beruhigen vermochten, wirkten sie auch beruhigend auf mich. Ich entspannte mich, weil ich dachte, wenn er die Sache keiner Aufregung für wert hält, kann es nur halb so schlimm sein. Er schob einen Finger unter den Brustverband, um nachzuprüfen, ob er fest genug war. »Was ist geschehen?« Während er die Frage stellte, drehte er sich zur Seite und griff nach einem Becher mit Tee, als wäre er an meiner Antwort nicht sonderlich interessiert.
Ich bemühte mich, über den Zeitraum der letzten Wochen zurückzudenken, suchte nach einer Möglichkeit, zu erklären. Ereignisse irrlichterten durch meinen Kopf, entzogen sich meinem Griff. Nur die dumpfe Pein der Niederlage blieb. »Galen hat mich auf die Probe gestellt«, sagte ich schwerfällig. »Ich habe versagt. Dafür wurde ich bestraft.« Die Worte brachten alles wieder an die Oberfläche, Zerknirschung, Scham, das Bewußtsein meiner Nichtswürdigkeit, und sie entlarvten den Trost der vertrauten Umgebung als Selbstbetrug. Der schlafende Fäustel erwachte und richtete sich auf. Instinktiv beschwichtigte ich ihn, bevor er anfing zu winseln. Leg dich hin. Schlaf. Alles ist gut. Zu meiner Erleichterung gehorchte er. Und zu meiner noch größeren Erleichterung schien Burrich nichts von unserem Gedankenaustausch bemerkt zu haben. Er hielt mir den Becher an die Lippen.
»Trink das. Dein Körper braucht Flüssigkeit, und die Kräuter lindern den Schmerz, damit du schlafen kannst. Also hinunter damit.«
Ich schluckte folgsam und legte mich wieder hin.
»Und sonst war nichts?« erkundigte er sich argwöhnisch. Ich wußte, worauf er anspielte. »Er hat dich geprüft, als seinen Schüler, und war nicht zufrieden mit deiner Leistung. Das ist der Grund, weshalb er dich so zugerichtet hat?«
»Ich habe versagt. Ich besaß nicht die – Selbstdisziplin. Dafür bin ich bestraft worden.« Mein Gehirn verweigerte mir die Einzelheiten, und die Scham durchflutete mich wie eine heiße Woge.
»Man erzieht niemanden zur Selbstdisziplin, indem man ihn halbtot prügelt.« Burrich sprach langsam, wie um einem Schwachsinnigen auf die Sprünge zu helfen, und stellte den Becher zurück auf den Tisch.
»Es ging ihm nicht darum, mir etwas beizubringen – ich glaube nicht, daß er mich für fähig hält zu lernen. Er wollte den anderen vor Augen führen, was ihnen droht, falls sie versagen.«
»Wer Angst hat, lernt nicht gut«, beharrte Burrich und fügte etwas wärmer hinzu: »Ein schlechter Lehrer, der seine Schüler mit Schlägen und Drohungen traktiert. Stell dir vor, man wollte ein Pferd auf diese Art zureiten. Oder einen Hund abrichten. Selbst der dümmste Köter lernt besser durch eine offene Hand als durch den Stock.«
»Du hast mich auch geschlagen!«
»Ja. Ja, das habe ich. Aber nur als kleine Ermahnung oder um einer Anweisung Nachdruck zu verleihen. Nicht, um zu verletzen. Niemals. Behaupte niemals anderen gegenüber, ich hätte dich oder eins der Tiere in dieser Absicht geschlagen, denn es ist nicht wahr.« Er war empört, daß ich ihm so etwas zutraute.
»Nein. Du hast recht.« Ich überlegte krampfhaft, auf welche Weise ich Burrich begreiflich machen sollte, daß in jener anderen Welt, Galens Welt, auch andere Gesetze herrschten. »Ich habe diese Strafe verdient, Burrich. Nicht der Lehrer war schlecht, der
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