Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
daß er sich umdrehte und etwas sagte, das mir erklärte, was gerade geschehen war. Aber nein. Als er um die Ecke bog, begriff ich, daß mein Martyrium zu Ende war. Auch ich setzte meinen Weg fort, einerseits kochte ich vor Zorn und Beschämung, andererseits war ich erwirrt. Seine Stegreifverse waren mir im Gedächtnis haften geblieben, und ich wußte, ich würde keine Ruhe finden, bis ich ihre tiefere Bedeutung ausklamüsert hatte. Aber Lady Quendel? Bestimmt hatte er sich die Geschichte nicht einfach aus den Fingern gesaugt. Aber was konnte veranlaßt haben, sein populäres Alter ego auf diese Weise abtreten zu lassen? Den Leichnam welcher armen Frau würde man als Lady Quendel heraustragen, vorgeblich, um sie zu weit entfernt lebenden Verwandten zu überführen, wo sie begraben werden sollte? Wollte er auf diese Art seine Reise antreten, sich ungesehen aus der Burg schmuggeln? Stellte sich wieder die Frage, weshalb sie sterben lassen? Damit Edel glaubte, sein Giftanschlag sei erfolgreich gewesen? Zu welchem Zweck?
Vor Kettrickens Tür angekommen, wartete ich einen Moment, um mich zu sammeln und ein unbeteiligtes Gesicht aufzusetzen. Plötzlich wurde die Tür gegenüber aufgerissen und Edel trat schwungvoll auf den Gang hinaus, mit soviel Schwung, daß er mich anrempelte. Bevor ich mich fangen konnte, meinte er großartig: »Ist schon gut, Fitz, ich erwarte keine Entschuldigung von jemanden, der gerade einen so schmerzlichen Verlust erlitten hat.« Seine aus drei jungen Männern bestehende Entourage war ihm auf den Flur gefolgt. Sie standen hinter ihm und kicherten spöttisch. Er schaute sich lächelnd nach ihnen um, dann beugte er sich zu mir und fragte mit gedämpfter, honigsüßer Stimme: »An welche welke Brust wirst du dich jetzt schmiegen, wo die alte Hure Quendel tot ist? Nun ja, ich bin sicher, es findet sich ein anderes angejahrtes Weib, um dich zu hätscheln. Oder hast du es jetzt auf eine jüngere abgesehen?« Er besaß die Unverfrorenheit, mir ein anzügliches Lächeln zu schenken, dann fuhr er auf dem Absatz herum und schritt sichtlich zufrieden von dannen, gefolgt von seinen drei Sykophanten.
Blinde Wut, daß er es gewagt hatte, die Königin zu beleidigen, überfiel mich mit solcher Plötzlichkeit, wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Eine furchtbare Kraft durchströmte meinen Körper, ich spürte, wie meine Oberlippe sich in die Höhe zog, zur Parodie eines wölfischen Zähnefletschens. Aus der Ferne hörte ich: Was? Was ist es? Töte! Töte! Töte! Ich tat einen Schritt, der nächste wäre ein Satz gewesen, und ich weiß, ich hätte meine Zähne in die Beuge zwischen Hals und Schulter geschlagen.
Aber –
»FitzChivalric«, sagte eine überraschte Stimme.
Mollys Stimme. Ich drehte mich zu ihr herum. Im Bruchteil einer Sekunde war meine Wut in helle Freude umgeschlagen. Doch sogleich senkte sie den Blick. »Vergebung, Herr.« Sie drückte sich mit gesenktem Kopf an mir vorbei. Wie eine Dienstmagd.
»Molly?« Unwillkürlich machte ich eine Bewegung, um ihr zu folgen. Sie blieb stehen und schaute zurück. Weder ihre Miene noch ihre Stimme verrieten, was in ihr vorging.
»Ja, Herr? Habt Ihr einen Auftrag für mich?«
»Einen Auftrag?« Natürlich. Ich sah mich um, aber wir waren allein. Kühn trat ich einen Schritt auf sie zu und dämpfte meine Stimme, so daß nur sie mich hören konnte. »Nein, aber ich habe dich so vermißt. Molly, ich…«
»Dies ist nicht ziemlich, Herr. Ich bitte Euch, laßt mich gehen.« Sie wandte sich ab, stolz, überlegen und schritt den Flur hinunter zur Treppe.
»Was habe ich getan?« verlangte ich aufgebracht zu wissen. Ihr Benehmen war mir ein Rätsel. Eigentlich rechnete ich nicht mit einer Antwort, aber sie blieb stehen. Ihr blaugekleideter Rücken war kerzengerade, ihr Nacken steif. Sie sprach zu dem leeren Korridor. »Nichts. Nichts habt Ihr getan, Herr. Absolut gar nichts.«
»Molly!« begehrte ich auf, aber sie bog um die Ecke und war fort. Ich starrte ihr hinterher, bis mir plötzlich bewußt wurde, daß ich einen merkwürdigen Laut von mir gab, halb Winseln, halb Knurren.
Laß uns jagen.
Vielleicht. Die Versuchung war groß. Das wäre das beste. Zu jagen, zu töten, zu schlafen. Und nicht mehr als das.
Und warum nicht jetzt gleich?
Ich weiß es nicht.
Wieder zu Kettrickens Tür zurückgekehrt, klopfte ich an. Die kleine Rosemarie öffnete mir und begrüßte mich mit einem Lächeln. Gleich bei meinem Eintritt sah ich, aus welchem Grund Molly hier
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