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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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gewesen war. Kettricken hielt eine dicke grüne Kerze an die Nase und atmete den Duft ein, weitere standen auf dem Tisch.
    »Myrika«, bemerkte ich.
    Kettricken blickte lächelnd auf. »FitzChivalric. Willkommen. Nimm Platz. Darf ich dir etwas zu essen anbieten? Wein?«
    Ich stand da und schaute sie an. Was für eine Veränderung. Ich fühlte ihre Kraft und wußte, sie befand sich im Mittelpunkt ihres Selbst. Sie trug eine Tunika über einer enganliegenden Hose aus Wollstoff, beides grau, ihr Haar war frisiert wie immer. An Schmuck hatte sie nur eine Kette aus blauen und grünen Steinperlen umgelegt. Dies war nicht die Frau, die ich vor ein paar Tagen auf dem Rücken eines Maultiers in die Burg zurückgebracht hatte. Jene Frau war traurig, zornig, verletzt und verwirrt gewesen. Diese Kettricken verströmte gelassene Heiterkeit.
    »Hoheit«, begann ich zögernd.
    »Kettricken«, berichtigte sie mich ruhig. Sie ging herum und stellte einige der Kerzen auf Regale. Ihre Weigerung, mehr zu sagen, wirkte fast herausfordernd.
    Ich trat weiter ins Zimmer. Sie und Rosemarie waren allein. Veritas hatte sich einmal bei mir beklagt, ihre Gemächer wären so akkurat wie ein Militärlager. Er hatte nicht übertrieben. Die Einrichtung war schlicht und sparsam, es fehlten die für Bocksburg charakteristischen Tapisserien und Teppiche. Auf dem Boden lagen einfache Strohmatten, holzgerahmte Pergamentwandschirme waren mit zarten Blumen und Bäumen bemalt. Nichts stand oder lag herum. In diesem Raum war alles beendet und weggeräumt oder noch nicht begonnen. Nur so kann ich die Stille beschreiben, die ich dort empfand.
    Beim Hereinkommen hatte ich mich in einem Aufruhr widerstreitender Gefühle befunden, jetzt aber wurde ich ruhig, mein Atem ging stetig und mein Herz schlug gleichmäßig. Eine Ecke des Raums hatte man mit Hilfe der Wandschirme in einen Alkoven verwandelt, ausgestattet mit einem grünen Webteppich und niedrigen, gepolsterten Bänken, wie ich sie in den Bergen gesehen hatte. Kettricken stellte die grüne Kerze hinter einen der Schirme und entzündete sie mit einem brennenden Span vom Kamin. Die tanzende Flamme verlieh der gemalten Szenerie auf dem Pergament Leben und Wärme eines Sonnenaufgangs. Kettricken nahm auf einer der Bänke Platz und lud mich mit einer Handbewegung ein, ihrem Beispiel zu folgen. »Willst du mir Gesellschaft leisten?«
    Ich setzte mich ihr gegenüber hin. Der sanft erleuchtete Schirm, die Illusion eines kleinen, abgetrennten Raums und der süße Duft von Myrikawachs umgaben mich. Die niedrige Bank war eigenartig bequem. Ich brauchte einen Moment, um mich an den Zweck meines Besuchs zu erinnern. »Hoheit, ich dachte, Ihr möchtet vielleicht einige von den Glücksspielen lernen, denen man hier in Bocksburg frönt. Damit Ihr Euch nicht ausgeschlossen fühlt, wenn die anderen sich vergnügen.«
    »Vielleicht ein andermal«, sagte sie freundlich. »Wenn uns der Sinn danach steht und sofern es dir Freude macht, mich das Spiel zu lehren. Aber nur aus diesen Gründen. Ich habe erkannt, daß die alten Sprichwörter wahr sind. Man kann sich nur so weit von seinem wahren Selbst entfernen, bis das Band entweder zerreißt oder man zurückgezogen wird. Ich schätze mich glücklich – ich bin zurückgezogen worden. Ich habe mich wiedergefunden, FitzChivalric. Das ist, was du heute fühlst.«
    »Ich verstehe nicht.«
    Sie lächelte. »Das ist auch nicht nötig.«
    Danach schwieg sie wieder. Rosemarie hatte sich vor den Kamin gesetzt und Tafel und Kreide zur Hand genommen. Selbst dieses sonst lebhafte Kind vermittelte heute einen Eindruck ruhevoller Selbstgenügsamkeit. Ich wandte mich wieder Kettricken zu und wartete, aber sie sah mich nur an, ein sinnendes Lächeln auf den Lippen.
    Endlich fragte ich: »Was tun wir?«
    »Nichts«, antwortete Kettricken.
    Ich hing ebenfalls stumm meinen Gedanken nach. Nach geraumer Zeit bemerkte sie: »Unser Ehrgeiz, die Ziele, die wir uns setzen, der Rahmen, den wir der Welt aufzuzwingen versuchen, ist nicht mehr als der Schatten eines Baumes auf dem Schnee. Er wandert mit der Sonne, vergeht in der Nacht, schwankt mit dem Wind, und wenn der Schnee schmilzt, liegt er verzerrt auf dem unebenen Boden. Aber der Baum steht da wie immer. Verstehst du das?« Sie beugte sich etwas vor, um mir ins Gesicht zu sehen. Ihre Augen wirkten gütig.
    »Ich glaube schon«, meinte ich unbehaglich.
    Sie warf mir einen fast mitleidigen Blick zu. »Du würdest verstehen, wenn du aufhören würdest,

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