Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
mit dem Kopf begreifen zu wollen, wenn du nicht länger darüber nachdächtest, weshalb es mir wichtig ist, und es einfach nur als Konzept betrachten könntest, das für dein eigenes Leben von Wert ist. Aber ich verlange nicht von dir, das zu tun. Ich verlange hier von niemanden irgend etwas.«
    Sie lehnte sich wieder zurück, ein unmerkliches Entspannen, so daß ihre aufrechte Haltung unangestrengt und gelöst wirkte. Wieder tat sie gar nichts, saß mir nur gegenüber und ließ ihr Selbst ausströmen. Ich fühlte ihr Leben, wie es mich streifte und umspülte. Es war nur der Hauch einer Berührung, und ohne meine Erfahrung mit der Gabe und der Macht hätte ich sie wahrscheinlich nicht gespürt. Tastend, so behutsam, als beschritte ich eine Brücke aus Spinnwebfäden, überlagerte ich ihre Sinne mit den meinen.
    Sie spürte. Nicht wie ich, zu einem bestimmten Tier oder um zu erfahren, was sich in der Nähe befand. Kettricken suchte nicht mit der Macht, es war, wie sie gesagt hatte, einfach eine Art des Seins, aber als Teil des Ganzen. In sich ruhend, überschaute sie die Mannigfaltigkeit ihrer Einbindung in das große Netz und war zufrieden. Es war ein zartes, fragiles Gewebe und erfüllte mich mit Staunen. Für einen Augenblick versank auch ich in einen Zustand der Entspannung. Ich ließ den Atem ausströmen und öffnete mich, bejahte die Macht wie nie zuvor. Ich ließ alle Vorsicht fahren, die Angst, daß Burrich mich wahrnehmen könnte. Kettrickens Spüren erinnerte an Tautropfen, die einen Spinnwebfaden entlangrinnen. Ich dagegen war eine aufgestaute Flut, die sich durch die geöffneten Schleusen ergießt, alte Kanäle füllt und Finger aus Wasser aussendet, um die Niederungen zu erforschen.
    Laß uns jagen. Der Wolf, freudevoll.
    In den Ställen richtete Burrich sich von seiner Arbeit auf und runzelte die Stirn. Rußflocke stampfte in ihrer Box. Molly warf den Kopf zurück und löste ihr Haar. Kettricken, mir gegenüber, zuckte zusammen und sah mich an, als hätte ich laut gesprochen.
    Einen weiteren Moment lang wurde ich gehalten, ergriffen von tausend Seiten, gedehnt, ausgespannt, in mitleidlose Helligkeit getaucht. Ich fühlte alles, nicht nur die menschlichen Wesen mit ihrem Kommen und Gehen, sondern jede Taube auf dem Dach, jede huschende Maus hinter den Weinfässern, jedes Stäubchen Leben, keines zu winzig oder zu unbedeutend, um nicht ein Nodus im Netz zu sein. Nichts allein, nichts vergessen, nichts ohne Bedeutung und nichts von Wichtigkeit, skandierte irgendwo irgend jemand und verstummte. Nach diesem Solo ertonte ein Chor anderer Stimmen, fern und leise. Was? Wie bitte? Hast du gerufen? Bist du hier? Träume ich? Sie zupften an mir wie ein Bettler am Ärmel eines Vorübergehenden, und plötzlich kam mir zu Bewußtsein, wenn ich mich nicht zurückzog, lief ich Gefahr, aufgezupft zu werden wie ein Stück Stoff. Ich konzentrierte mich wieder in mir selbst. Ich atmete ein.
    Keine Zeit war vergangen. Ein Atemzug, ein Lidschlag. Kettricken sah mich seltsam an. Ich gab mir den Anschein, es nicht zu bemerken. Ich kratzte mich an der Nase. Ich rückte hin und her.
    Ich faltete die Hände im Schoß, ich legte sie auf die Knie. Ich ließ noch einige Minuten verstreichen, bevor ich seufzte und entschuldigend die Schultern hob. »Ich fürchte, ich verstehe dieses Spiel nicht.«
    Es war mir gelungen, sie zu verärgern. »Es ist kein Spiel. Du brauchst es nicht verstehen oder ›tun‹. Richte den Blick nach innen und beschränke dich darauf zu sein.«
    Ich tat so, als machte ich einen zweiten Versuch. Kurze Zeit saß ich still, dann spielte ich an meiner Manschette, bis Kettricken aufmerksam wurde und mich anschaute. Ich senkte beschämt den Blick. »Die Kerze riecht sehr gut«, bemerkte ich verlegen.
    Kettricken seufzte und gab mich als hoffnungslos auf. »Die junge Frau, die sie herstellt, hat ein großes Verständnis für Düfte. Fast kann sie mir meinen Garten ins Zimmer bringen. Edel hat mir eine ihrer Geißblattkerzen gebracht, und danach habe ich mir selbst ihre Waren angesehen. Sie ist eine Dienstmagd hier und hat nicht die Zeit und nicht die Möglichkeiten, Kerzen in größeren Mengen herzustellen. Deshalb weiß ich es zu schätzen, wenn sie kommt, um mir welche anzubieten.«
    »Edel«, wiederholte ich. Edel, der mit Molly redete. Edel, der sie gut genug kannte, um von ihrer Tätigkeit als Kerzenzieherin zu wissen. Eine böse Vorahnung krampfte mir den Magen zusammen. »Hoheit, ich glaube, ich störe Euch

Weitere Kostenlose Bücher