Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Kettricken aber tiefbewegt, denn ihr hatten sie ihre Dienste angeboten. Ihre Gesellen kamen mit ihnen und vergrößerten die Zahl derer, die auf der Werft arbeiteten. Nun brannten die Laternen sowohl vor Tagesanbruch als auch nach Sonnenuntergang. Natürlich war Veritas infolgedessen noch häufiger von der Burg abwesend und Kettricken bei meinen Besuchen noch bedrückter. Vergebens bemühte ich mich, sie mit Büchern und Ausflügen auf andere Gedanken zu bringen. Meistens saß sie an ihrem Webrahmen, hatte die Hände im Schoß liegen und wurde mit jedem Tag blasser und lustloser. Ihre düstere Stimmung wirkte ansteckend auf die Frauen, die ihr Gesellschaft leisteten, so daß es in ihrem Gemach etwa so lustig zuging wie bei einer Totenwache.
Ich hatte nicht erwartet, Veritas in seinem Arbeitszimmer vorzufinden, und wurde nicht enttäuscht. Er war unten, bei seinen Schiffen, wie immer. Charim sagte ich, man möchte mich rufen, wann immer der Prinz Zeit habe, mich zu empfangen, und dann, entschlossen zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, indem ich mich beschäftigte und gleichzeitig über die Königin wachte, holte ich Würfel und Kerbhölzer aus meinem Zimmer und machte mich auf den Weg zu den Gemächern der Königin.
Ich hatte vor, sie in die Regeln der Glücksspiele einzuweihen, die sich bei Hof großer Beliebtheit erfreuten, in der Hoffnung, damit die Liste ihrer Vergnügungen zu bereichern. Meine zweite, uneingestandene Hoffnung war, daß sie durch diese Spiele Gelegenheit fand, ihren Bekanntenkreis zu erweitern, um weniger auf meine Gesellschaft angewiesen zu sein. Ihre trostlose Stimmung begann auch mir die Tage zu vergällen, und oft wünschte ich mir aus tiefstem Herzen, von ihrer deprimierenden Gegenwart befreit zu sein.
»Als erstes mußt du ihr beibringen zu mogeln. Nur sag ihr, das wäre die Art, wie das Spiel gespielt wird. Sag ihr, die Regeln erlauben, daß man mogelt. Ein paar Taschenspielertricks, leicht zu lernen, und sie könnte Edel ein-, zweimal den Beutel leeren, bevor er überhaupt auf den Gedanken kommt, sie zu verdächtigen. Und wenn er Verdacht schöpft, was kann er tun? Bocksburgs Herrin des Falschspiels bezichtigen?«
Der Narr, wer sonst. Gemächlich mir zur Seite schlendernd, das Rattenzepter über der Schulter. Auch wenn ich äußerlich nicht zusammenzuckte, wußte ich, daß er wußte, es war ihm wieder einmal gelungen, mich zu überrumpeln. Das Vergnügen darüber funkelte in seinen Augen.
»Ich könnte mir vorstellen, daß unsere Königin-zur-Rechten es übelnähme, wenn ich ihr einen solchen Bären aufbinden wollte. Warum kommst du nicht lieber mit, um sie aufzuheitern. Ich sage nichts von den Würfeln, und du kannst für sie Kunststücke machen.«
»Für sie Kunststücke machen? Fitz, mein Guter, das tue ich dauernd, den lieben Tag lang, und für dich sind es nur meine Narrenpossen. Du siehst mich arbeiten und hältst es für Spiel, während ich dich so ernsthaft beim Spielen von Spielen arbeiten sehe, die du nicht selbst ersonnen hast. Hör auf den Rat eines Narren – lehre die Dame nicht würfeln, sondern Rätselraten, und ihr werdet beide klüger.«
»Rätselraten? Das ist ein Spiel aus Bingtown, oder nicht?«
»Käme es in diesen Zeiten doch in Bocksburg in Mode! Löse mir dieses Rätsel, wenn du kannst: Wie ruft man es, wenn man nicht weiß, wie man es ruft?«
»In diesem Spiel bin ich nie gut gewesen.«
»Auch kein anderer aus deinem Geschlecht, nach allem, was ich gehört habe. Dann antworte hierauf: Was hat Flügel in Listenreichs Schriftrolle, eine Zunge aus Feuer in Veritas’ Buch, silberne Augen auf dem Relltown Pergament und goldschuppige Haut in deinem Zimmer?«
»Das ist ein Rätsel?«
Er sah mich mitleidig an. »Nein. Ein Rätsel ist, was ich dich eben gefragt habe. Das ist ein Uralter. Und das erste Rätsel war, wie ruft man einen herbei?«
Mein Schritt stockte. Ich schaute ihn an, aber sein Blick ließ sich nicht festhalten. »Ist das ein Rätsel? Oder eine ernstgemeinte Frage?«
»Ja.« Der Narr nickte bekräftigend.
Ich blieb endgültig stehen, vollkommen verwirrt und musterte ihn stirnrunzelnd. Zur Antwort hielt er sich das Rattenzepter dicht vor die Augen. »Siehst du, Rätzel, er weiß nicht mehr als sein Onkel oder sein Großvater. Keiner von ihnen wußte, wie man einen Uralten herbeiruft.«
»Mittels der Gabe«, entfuhr es mir.
Der Narr sah mich seltsam an. »Das weißt du?«
»Ich nehme an, daß es so ist.«
»Warum?«
»Ich weiß
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