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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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sondern muß hinschauen, wohin mein Blick gelenkt wird. Die Zukunft, Majestät, ist wie ein Strom in einem engen Bett. Ich kann Euch nicht sagen, wohin ein Tropfen Wasser fließt, doch ich kann sagen, wo die Strömung am stärksten ist.«
    »Eine Frau in Syltport«, beharrte ich. Ein Teil von mir hatte Mitleid mit dem armen Narren, doch ein anderer Teil kannte kein Erbarmen. »Ich hätte sie nicht gesehen, wenn sie nicht von Bedeutung wäre. Versuche es. Wer war sie?«
    »Sie ist wichtig?«
    »Ja. Davon bin ich überzeugt.«
    Der Narr saß mit gekreuzten Beinen zu meinen Füßen und preßte die langen dünnen Finger gegen die Schläfen, als gälte es, eine Tür zu öffnen. »Ich weiß nicht… ich verstehe nicht… Alles ist Chaos, jeder Weg ein Scheideweg. Die Spuren sind verwischt, die Witterung verliert sich…« Er sah zu mir auf, die fahlen Augen blickten rund in dem Porzellanpuppengesicht. Sein Oberkörper pendelte hin und her, er grinste töricht und neigte sich dem Rattenzepter entgegen, bis ihre Nasen sich berührten. »Hast du eine solche Molly gekannt, Rätzel? Nein? Habe ich auch nicht geglaubt. Vielleicht sollte er jemanden fragen, von dem man erwarten kann, daß er Bescheid weiß. Die Würmer vielleicht.« Ein albernes Kichern schüttelte ihn. Nutzloses Geschöpf. Kindischer, orakelnder Weissager. Nun, es war seine Natur. Ich ging langsam zu meinem Bett zurück und setzte mich auf den Rand.
    Ein Schüttelfrost bemächtigte sich meines Körpers.
    Ruhe, ermahnte ich mich. Zu große Aufregung konnte einen Anfall heraufbeschwören, und wollte ich, daß der Narr sah, wie ich mich zuckend und stöhnend in Krämpfen wand? Es kümmerte mich nicht. Nichts kümmerte mich, außer zu erfahren, ob diese Frau Molly gewesen war, und wenn ja: Hatte sie den Tod gefunden? Ich mußte es wissen. Mußte wissen, ob sie gestorben war, und wenn sie gestorben war, auf welche Weise. Nichts anders war mir je so wichtig gewesen.
    Der Narr hockte auf dem Teppich wie eine bleiche Kröte. Er leckte sich über die Lippen und lächelte mich an. Schmerz verzerrt manchmal das Gesicht eines Menschen zu solch einem Lächeln. »Es ist ein sehr heiteres Lied, das Lied über Syltport«, meinte er. »Als gäbe es einen Sieg zu feiern. Die Dörfler haben gewonnen, wißt Ihr, nicht das Leben, aber einen sauberen Tod. Nun ja, den Tod auf jeden Fall. Tod, statt des Schreckens der Entfremdung. Das ist wenigstens etwas. Etwas, worüber man in diesen Zeiten Lieder singt, woran man sich halten kann. So steht es heute in den Sechs Provinzen. Wir töten die Unsrigen, damit sie nicht in die Hände der Korsaren fallen, und dann besingen wir diese Tat wie einen Sieg. Erstaunlich, womit ein Volk sich tröstet, wenn es sonst keinen Trost gibt.«
    Sein Gesicht verschwamm vor meinen Blicken. Ich wußte plötzlich, daß ich träumte. »Ich bin nicht hier«, sagte ich schwach. »Dies ist ein Traum. Ich träume, ich bin König Listenreich.«
    Er hielt die weiße Hand vor die Flammen und betrachtete die dunklen Linien der Knochen in dem durchscheinenden Fleisch. »Wenn Ihr es sagt, Majestät, muß es an dem sein. Dann träume auch ich, Ihr seid König Listenreich. Wenn ich Euch kneife, werde ich mich aufwecken?«
    Ich senkte den Blick auf meine eigenen Hände. Sie waren alt und zernarbt. Ich ballte sie zu Fäusten, beobachtete, wie Adern und Sehnen sich unter der pergamentenen Haut wölbten, spürte den knirschenden Widerstand meiner geschwollenen Knöchel. Ich bin ein alter Mann, dachte ich. So fühlt es sich an, wenn man alt ist. Nicht, als wäre man krank und könnte immerhin auf Besserung hoffen. Alt. Wenn jeder Tag eine neue Hürde ist, jeder Monat eine weitere Last für den Körper. Alles begann sich aufzulösen. Flüchtig hatte ich geglaubt, fünfzehn zu sein.
    Von irgendwoher roch ich verbranntes Fleisch und Haar. Nein, würziges Rindergulasch. Nein, Jonquis heilsames Räucherwerk. Die sich vermischenden Gerüche verursachtem mir Übelkeit. Ich wußte nicht mehr, wer ich war, was ich wollte. Wenn ich glaubte, einen Anhaltspunkt gefunden zu haben, um die Wahrheit zu zwingen, entglitt er mir wieder. Es war hoffnungslos. »Ich weiß nicht«, flüsterte ich. »Ich verstehe dies alles nicht.«
    »Aha!« trumpfte der Narr auf. »Wie ich Euch gesagt habe. Man kann eine Sache nur verstehen, wenn man sie am eigenen Leib erfährt.«
    »Dann erfahre ich jetzt, was es heißt, König Listenreich zu sein?« Ich war zutiefst erschüttert. So hatte ich ihn nie gesehen,

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