Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
gepeinigt von den Beschwerden des Alters, aber dennoch unablässig den Leiden seiner Untertanen ausgeliefert. »Dies muß er erdulden, Tag für Tag?«
»Ich fürchte, so ist es, Majestät«, bestätigte der Narr mitfühlend. »Kommt. Legt Euch nieder. Morgen werdet Ihr Euch besser fühlen.«
»Nein. Wir beide wissen, das werde ich nicht.« Ich war es nicht, der diese schrecklichen Worte aussprach. Sie kamen von des Königs Lippen, und ich hörte sie und wußte, dies war die entmutigende Wahrheit, mit der er zu leben gezwungen war. Ich war so unsäglich müde. Jeder Muskel meines Körpers schmerzte. Ich hatte nicht gewußt, wie schwer das eigene Fleisch wiegen konnte, wieviel schmerzliche Anstrengung es kostete, nur einen Finger zu krümmen. Ruhen. Schlafen. Wollte ich das oder Listenreich? Ich hätte dem Narren gestatten sollen, mir ins Bett zu helfen, meinem König die Erholung zugestehen. Aber der Narr wußte die Antwort, auf die es mir ankam. Er enthielt mir das Körnchen Wissen vor, das ich haben mußte, um vollständig zu sein.
»Ist sie dort gestorben?« fragte ich ihn.
Der Narr sah mich traurig an, bückte sich unvermittelt und hob sein Zepter auf. Eine winzige Träne perlte über die Wange des Rattenkopfes, er folgte ihr mit den Augen, dann verlor sein Blick sich in die Ferne, in einem Reich der Schmerzen. Flüsternd begann er zu sprechen. »Eine Frau in Syltport. Ein Tropfen in dem Strom all der Frauen von Syltport. Was mag ihr zugestoßen sein? Ist sie gestorben? Ja. Nein. Von Brandwunden gezeichnet, doch am Leben. Den Arm an der Schulter abgetrennt. Eingekreist und vergewaltigt, während sie ihre Kinder erschlugen, doch lebendig. Mehr oder weniger.« Seine Stimme klang monoton, es war, als läse er von einer Liste ab. »Mit ihren Kindern bei lebendigem Leib verbrannt, als das Haus über ihnen einstürzte. Nahm Gift, gleich nachdem ihr Mann sie geweckt hatte. Im Rauch erstickt. Starb nur wenige Tage später an einer entzündeten Stichwunde. Von einem Schwert durchbohrt. Am eigenen Blut ertrunken, während sie vergewaltigt wurde. Schnitt sich mit eigener Hand die Kehle durch, nachdem sie die Kinder getötet hatte, während die Korsaren versuchten, die Tür aufzubrechen. Überlebte und brachte im nächsten Sommer das Kind eines Korsaren zur Welt. Wurde Tage später gefunden, umherirrend und von Brandwunden übersät, doch ohne Erinnerung an das Vorgefallene. Das Gesicht verbrannt und beide Hände abgehackt, aber sie lebte noch kurze…«
»Aufhören!« befahl ich. »Hör auf! Ich bitte dich, hör auf!«
Der Narr verstummte und atmete tief ein. Sein Blick kehrte in die Gegenwart zurück und heftete sich auf mich. »Aufhören!« Er vergrub das Gesicht in den Händen, als er weitersprach waren seine Worte kaum zu verstehen. »Aufhören? Das schrien auch die Frauen von Syltport. Doch was bereits geschehen ist, können wir nicht ungeschehen machen, Majestät. Es ist zu spät.« Er hob den Kopf. Er sah sehr müde aus.
»Bitte«, bedrängte ich ihn. »Kannst du mir nichts über diese Frau sagen, die ich in meiner Vision gesehen habe?« Von einem Moment zum anderen konnte ich mich nicht mehr auf ihren Namen besinnen, nur, daß sie mir sehr viel bedeutete.
Er schüttelte den Kopf, und die kleinen silbernen Schellen an seiner Kappe klingelten freudlos. »Die einzige Möglichkeit, etwas in Erfahrung zu bringen, wäre, nach Syltport zu gehen.« Er blickte zu mir auf. »Wenn Ihr befiehlt, werde ich es tun.«
»Veritas soll kommen«, ordnete ich statt dessen an. »Ich habe Order für ihn.«
»Unsere Truppen können nicht mehr rechtzeitig eintreffen, um das Massaker zu verhindern«, gab der Narr zu bedenken. »Höchstens können sie helfen, die Brände zu löschen, und aus den Trümmern retten, was noch zu retten ist.«
»Dann sollen sie wenigstens das tun«, antwortete ich dumpf.
»Zuvor will ich Euch zurück ins Bett helfen, mein König. Euch friert. Und Ihr müßt etwas essen.«
»Nein, mein Freund«, wehrte ich traurig ab. »Soll ich essen und mich wärmen, während die Leichen von Kindern im Schlamm erkalten? Reiche mir lieber meine Gewänder. Und dann geh, um Veritas zu holen.«
Der Narr ließ sich nicht beirren. »Glaubt Ihr, die Unbequemlichkeit, die Ihr Euch auferlegt, wird auch nur einem einzigen Kind das Leben wiedergeben, Majestät? Was in Syltport geschah, ist nicht mehr zu ändern. Weshalb also müßt Ihr leiden?«
»Weshalb muß ich leiden?« Ich rang mir für ihn ein Lächeln ab. »Bestimmt
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