Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Bettes sitzen und starrte in das Unwetter hinaus.
Nach einiger Zeit hörte ich zögernde Schritte die Treppe hinunterkommen. Chade erschien in meinem dunklen Zimmer wie ein Geist. Er starrte mich an, dann ging er zum Fenster und schloß mit einem lauten Knall die Läden. Während er den Riegel vorlegte, fragte er mich zornig: »Hast du eine Ahnung, was in meinem Zimmer oben für ein Durchzug herrscht?« Als ich keine Antwort gab, hob er den Kopf und schnüffelte wie ein Wolf. »Hast du mit Pestkraut hier gearbeitet?« Fragte er plötzlich und stellte sich vor mich hin. »Fitz, du hast doch keine Dummheit gemacht, oder?«
»Dummheit? Ich?« Mein Lachen klang dünn.
Chade bückte sich und schaute mir ins Gesicht. »Komm mit nach oben«, sagte er in beinahe väterlichem Ton. Er nahm meinen Arm, und ich ging mit ihm.
Der freundliche Raum, das lustig knisternde Feuer, die blanken, reifen Herbstfrüchte in einer Schale – das heimelige Idyll stand in derart krassem Gegensatz zu dem, was ich fühlte, daß ich Lust bekam, Dinge zu zerschlagen. Statt dem Bedürfnis nachzugeben, fragte ich Chade: »Gibt es etwas, das schlimmer ist, als auf Menschen wütend zu sein, die man liebt?«
Er ließ sich Zeit mit der Antwort. »Jemanden sterben sehen, den man liebt. Und zornig sein, aber nicht wissen, auf wen oder was. Ich glaube, das ist schlimmer.«
Ich warf mich auf einen Stuhl und streckte die Beine von mir.
»Listenreich hat Edels schlechte Gewohnheiten angenommen. Glimmkraut. Freudengras. Wer weiß was in seinem Wein. An diesem Morgen, ohne Drogen, fing er an zu zittern, dann trank er sie in seinen Wein gemischt, nahm eine Nase voll Räucherwerk und schlief ein. Nachdem er mir nochmals gesagt hatte, daß ich Zelerita freien und heiraten solle. Zu meinem eigenen Besten.« Ich mußte mir den Jammer von der Seele reden, auch wenn nach meiner Erfahrung Chade bereits alles wußte, was ich ihm erzählte.
Ich sah ihm in die Augen. »Ich liebe Molly«, erklärte ich unumwunden. »Ich habe Listenreich gesagt, daß mein Herz einer anderen gehört, und doch besteht er darauf, daß ich Zelerita heirate. Er wundert sich, weshalb ich nicht begreife, daß er nur das beste für mich will. Wie kann er nicht begreifen, daß ich eine Frau heiraten will, die ich liebe?«
Chade machte ein nachdenkliches Gesicht. »Hast du mit Veritas darüber gesprochen?«
»Was würde es nützen? Er konnte ja nicht einmal sich selbst davor bewahren, mit einer Frau vermählt zu werden, die er nicht gewählt hatte.« Es war ungerecht Kettricken gegenüber, doch es entsprach der Wahrheit.
»Möchtest du einen Becher Wein?« fragte Chade beschwichtigend. »Er beruhigt dich vielleicht.«
»Nein.«
Er hob die Augenbrauen.
»Nein, vielen Dank. Nachdem ich heute morgen gesehen habe, wie Listenreich sich mit Wein ›beruhigt‹…« Ich ließ den Satz in der Luft hängen. »Ist der Mann niemals jung gewesen?«
»Sehr jung sogar.« Chade gestattete sich ein schmales Lächeln. »Vielleicht erinnert er sich daran, daß Constance eine Frau war, die seine Eltern für ihn ausgesucht hatten. Widerwillig hat er ihr den Hof gemacht, widerwillig sie geheiratet. Erst bei ihrem Tod wurde ihm bewußt, wie sehr er sie im Lauf der Zeit lieben gelernt hatte. Desideria hingegen erwählte er selbst zu seiner Gemahlin, blind vor Leidenschaft.« Er schwieg. »Ich will nicht schlecht von den Toten sprechen.«
»Aber bei mir ist es anders«, gab ich zu bedenken.
»Inwiefern?«
»Weder bin ich König, noch werde ich je König sein. Wen ich heirate, geht nur mich etwas an.«
»Wäre es nur so einfach«, meinte Chade bekümmert. »Glaubst du, du kannst Zelerita zurückweisen, ohne Herzog Brawndy vor den Kopf zu stoßen? Und das in einer Zeit, in der die Sechs Provinzen auf jeden Verbündeten angewiesen sind?«
»Ich bin sicher, ich kann sie davon überzeugen, daß sie mich nicht will.«
»Wie? Indem du dich als Tölpel darstellst? Und deinem König Schande machst?«
Ich fühlte mich in die Enge getrieben. Auswege, ich suchte nach Auswegen, fand aber nur eine Antwort in mir. »Ich heirate niemanden als Molly.« Allein dadurch, daß ich es ausgesprochen hatte, fühlte ich mich besser.
Chade schüttelte den Kopf. »Dann wirst du niemanden heiraten.«
»Vielleicht nicht«, gab ich zu. »Vielleicht werden wir nie dem Namen nach vermählt sein. Aber wir können uns ein gemeinsames Leben aufbauen.«
»Und kleine Bastarde in die Welt setzen.«
Meine Nackenmuskeln spannten sich,
Weitere Kostenlose Bücher