Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
ich ballte die Hände zu Fäusten. »Sag das nicht«, warnte ich meinen alten Lehrer, wandte ihm den Rücken zu und starrte ins Feuer.
»Ich werde es nicht sagen, aber alle anderen.« Er trat hinter mich und legte mir die Hände auf die Schultern. »Es wäre vielleicht das klügste, sie freizugeben.«
Die Berührung und seine Freundlichkeit ließen den Zorn von mir abfallen. Ich barg das Gesicht in den Händen. »Ich kann nicht«, sagte ich zwischen den Fingern hindurch. »Ich brauche sie.«
»Und was braucht Molly?«
Einen kleinen Kerzenladen mit Bienenstöcken im Gärtchen hinter dem Haus. Kinder. Einen rechtmäßigen Ehemann. »Du tust das für Listenreich. Um mich seinen Wünschen gefügig zu machen«, warf ich Chade vor.
Er nahm die Hände von meinen Schultern. Ich hörte, wie er sich entfernte, hörte, wie Wein in einen Becher gegossen wurde. Er ging mit dem Becher zu seinem Lehnstuhl vor dem Kamin und setzte sich.
»Es tut mir leid.«
Er sah mich an. »Eines Tages, FitzChivalric, werden diese Worte nicht genügen. Manchmal ist es leichter, einem Mann den Dolch aus der Brust zu ziehen, als von ihm zu verlangen, daß er Worte vergißt, die du zu ihm gesagt hast. Selbst wenn sie im Zorn gesprochen wurden.«
»Es tut mir leid«, wiederholte ich.
»Mir auch«, sagte er schroff.
Nach einer Weile fragte ich kleinlaut: »Weswegen wolltest du heute abend mit mir sprechen?«
Er seufzte. »Entfremdete. Südwestlich von Bocksburg.«
Mir wurde schlecht. »Ich dachte, davon würde ich in Zukunft verschont bleiben«, erwiderte ich dumpf. »Als Veritas mich auf ein Schiff abordnete, sagte er, vielleicht…«
»Der Befehl kommt nicht von Veritas. Listenreich erhielt den Bericht und wünscht, daß etwas unternommen wird. Veritas ist bereits – zu sehr beansprucht. Wir möchten ihn nicht noch zusätzlich belasten.«
Ich stützte wieder den Kopf in die Hände. »Gibt es keinen anderen, der das übernehmen kann?«
»Nur du und ich sind dafür ausgebildet.«
»Dich habe ich nicht gemeint«, erklärte ich müde. »Ich würde dir eine solche Arbeit nicht mehr zumuten.«
»Ach, wirklich nicht?« Was ich gesagt hatte, schien erneut seinen Zorn geweckt zu haben. »Du grüner Bengel. Was glaubst du, wer die Entfremdeten den ganzen Sommer über von Bocksburg ferngehalten hat, während du mit der Rurisk auf dem Meer herumgerudert bist? Hast du geglaubt, nur weil es dir gelungen ist, dich vor einer unangenehmen Arbeit zu drücken, braucht sie nicht mehr getan werden?«
Die Krönung eines schwarzen Tages, ich fühlte mich am Boden zerstört. »Chade, es tut mir leid.«
»Tut es dir leid, dich gedrückt zu haben? Oder daß du geglaubt hast, ich säße hier untätig auf dem Altenteil?«
»Beides. Alles. Chade, bitte, wenn noch ein Mensch, an dem mir liegt, zornig auf mich wird, ist es mehr, als ich ertragen kann.« Ich hob den Kopf und sah ihn an, bis er gezwungen war, meinen Blick zu erwidern.
Er kratzte seinen Bart. »Es ist ein langer Sommer gewesen, für uns beide. Bitten wir El, daß er Stürme sendet, um die Roten Schiffe vom Angesicht der Welt zu fegen.«
Eine Zeitlang verharrten wir in gemeinsamen Schweigen.
»Manchmal«, meinte Chade endlich, »wäre es um vieles leichter, für seinen König zu sterben, als das Leben für ihn zu geben.«
Ich neigte zustimmend den Kopf. Den Rest der Nacht brachte wir damit zu, die Gifte vorzubereiten, die ich brauchen würde, um wieder hinauszugehen und im Auftrag meines Königs zu morden.
KAPITEL 18
DIE URALTEN
Der Herbst des dritten Jahres der Heimsuchung durch die Roten Schiffe war eine bittere Zeit für den König-zur-Rechten Veritas. Die Kriegsschiffe waren seine große Hoffnung gewesen. Er hatte geglaubt, er könnte unsere Küste von Piraten säubern und – getragen von diesen Erfolgen – in Winter dem Feind an dessen heimatlichen Gestaden Gleiches mit Gleichen vergelten. Trotz erster Siege gelang es jedoch nicht, die Piraten während des Sommers entscheidend in die Schranken zu weisen. Zu Winteranfang gebot er über eine Flotte von fünf Schiffen, von denen zwei kürzlich schwer beschädigt worden waren. Weiterhin seetüchtig war das gekaperte Rote Schiff, das unter neuer Flagge und mit neuer Mannschaft zu Patrouillenfahrten eingesetzt wurde oder als Geleitschutz für Handelsschiffe. Als endlich die Zeit der Herbststürme begann, bekundete nur einer der Kapitäne genügend Vertrauen in seine Mannschaft und die Tüchtigkeit seines Schiffs, um sich zu einer
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