Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Raubfahrt an den Küsten der Äußeren Inseln bereitzuerklären. Die anderen Kapitäne sprachen sich dafür aus zu warten, um diesen Winter Mensch und Material an unserer eigenen rauhen Küste zu erproben und im Sommer taktische Manöver zu üben, bevor man sich an ein derart ehrgeiziges Unternehmen wagte.
Veritas wollte nicht befehlen und Männer gegen ihren Willen in die Gefahr schicken, doch er machte keinen Hehl aus seiner Enttäuschung und nahm die Ausstattung der Revenge , wie man das einzige freiwillige Schiff umgetauft hatte, zum Anlaß, sie deutlich werden zu lassen. Es wurde an nichts gespart. Die vom Kapitän handverlesene Mannschaft durfte sich an Rüstungen aussuchen, was jedem gefiel, und erhielt neue Waffen der allerbesten Qualität. Der kühne Rächer wurde mit großem Zeremoniell auf die Reise geschickt, sogar König Listenreich erschien, trotz seiner schwachen Gesundheit. Die Königin hängte mit eigener Hand die Möwenfedern an den Mast, von denen es heißt, daß sie ein Schiff schnell und sicher in den Heimathafen zurückbringen. Lauter Jubel erhob sich, als die Revenge in See stach, und an dem Abend wurde oft und oft auf das Wohl von Kapitän und Besatzung getrunken.
Einen Monat darauf sollte Veritas, zu seinem Verdruß, die Nachricht erhalten, ein Schiff, auf das die Beschreibung paßte, treibe in den ruhigeren Gewässern südlich der Sechs Provinzen sein Unwesen und mache den Kaufleuten aus Bingtown und den Chalced-Staaten schwer zu schaffen. Das war alles, was man von den Helden des Vaterlandes je wieder in Bocksburg hörte. Man hätte gern den Outislandern unter der Besatzung die Schuld in die Schuhe geschoben, doch es befanden sich mindestens ebensoviele Matrosen aus den Sechs Provinzen an Bord, und der Kapitän stammte aus Burgstadt selbst. Diese Sache war ein schwerer Schlag für Veritas’ Stolz und sein Ansehen im Volk, und manche glauben, aus diesem Anlaß habe er den Entschluß gefaßt, sich selbst zu opfern, in der Hoffnung, den Sechs Provinzen Rettung zu bringen.
Ich bin sicher, der Narr hat sie darauf gestoßen. Jedenfalls verbrachte er viele Stunden bei Kettricken in ihrem Dachgarten, und seine Bewunderung für das, was sie dort erreicht hatte, war nicht geheuchelt. Mit einem aufrichtig gemeinten Kompliment läßt sich viel Sympathie erringen. Ende des Sommers lachte sie nicht nur über seine Späße, wenn er kam, um sie und ihre Frauen zu unterhalten, sondern auf sein Betreiben war sie ein häufiger Besucher in des Königs Gemächern geworden. Als Königin-zur-Rechten konnten ihr Wallaces Launen gleichgültig sein. Sie übernahm es, für den König stärkende Tränke zuzubereiten, und eine Zeitlang schienen ihre Pflege und Gesellschaft ihn mit neuer Lebenskraft zu erfüllen. Der Narr muß entschlossen gewesen sein, durch sie zu erreichen, wozu er Veritas und mich nicht hatte bewegen können.
Es war ein winterlicher Herbstabend, als sie mich zum ersten Mal darauf ansprach. Ich half dabei, Strohbüschel um die empfindlicheren Pflanzen zu binden, damit sie besser vor Eis und Schnee geschützt waren. Philia hatte gesagt, das müsse getan werden, und sie und Lacey waren hinter mir damit beschäftigt, ein Beet mit Windschirmern abzudecken. Sie war Kettrickens ständige Beraterin für alles Grünende und Blühende geworden, ohne jedoch ihr scheues Wesen abgelegt zu haben. Rosemarie stand neben mir und reichte uns den Bindfaden an. Zwei von Kettrickens Frauen, warm eingepackt, waren geblieben, doch sie standen am anderen Ende des Gartens und unterhielten sich leise. Die übrigen hatte sie nach unten geschickt, ins Warme, weil der Anblick der verfrorenen Gestalten sie dauerte. Auch meine Hände waren steif vor Kälte und meine Ohrmuscheln taub, Kettricken hingegen schien sich wohl zu fühlen, wie auch Veritas, irgendwo in meinem Kopf. Seit er wußte, daß ich erneut den Auftrag hatte, Entfremdete auszumerzen, bestand er darauf, mitgenommen zu werden. Ich bemerkte seine Anwesenheit im Hintergrund meines Bewußtseins kaum noch, aber ich fühlte, wie er aufmerkte, als Kettricken mich fragte, während sie einen Bindfaden um eine Pflanze band, die ich zusammenhielt, was ich über die Uralten wußte.
»Nicht eben viel, Hoheit«, antwortete ich wahrheitsgemäß und nahm mir wieder einmal vor, mich endlich mit den lange vernachlässigten Dokumenten und Schriftrollen zu befassen.
»Weshalb nicht?« wollte sie wissen.
»Nun, es gibt wenig an schriftlichen Zeugnissen von ihnen. Ich glaube,
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