Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Aufgehen nebeneinanderzulegen. »Er sagte, der Staatsschatz wäre für den Bau der Schiffe aufgebraucht worden, um sie auszurüsten und zu bemannen. Er sagte, Veritas hätte das Wenige, das noch übrig war, für seine Expedition genommen, zu den Uralten.« Unsägliche Verachtung in diesem letzten Wort. Sie wischte sich die Hände an der Schürze ab. »Zum Schluß sagte er, es täte ihm leid. Aufrichtig leid.«
Eine kalte Wut ergriff von mir Besitz. Ich streichelte Sara über die Schulter und bat sie, sich keine Sorgen zu machen. Wie in Trance verließ ich die Küche und ging zu Veritas’ Arbeitszimmer. Dort angekommen, blieb ich einen Moment stehen, um mich zu besinnen. Ein kurzes Aufblitzen von Veritas’ Absicht. Ganz hinten in einer Schublade – ein Smaragdkollier –, jeder Stein in Gold gefaßt. Es hatte seiner Mutter gehört, und der Erlös würde reichen, um Männer anzuwerben und mit Hilfsgütern nach Holüber in Marsch zu setzen. Ich stieß die Tür auf, trat ein und blieb gleich wieder stehen. Veritas war alles andere als ordnungsliebend, und er hatte in Eile gepackt. Charim, der hinter ihm aufzuräumen pflegte, war mit ihm gegangen. Was ich vorfand, trug die Handschrift weder des einen noch des anderen.
Einem Unbeteiligten wäre vermutlich nicht aufgefallen, doch ich sah den Raum sowohl mit meinen als auch mit Veritas Augen. Er war durchsucht worden. Wer immer dafür verantwortlich zeichnete, ihm war entweder gleichgültig gewesen, ob jemand es bemerkte, oder er kannte Veritas nicht sonderlich gut. Jede Schublade war säuberlich zugedrückt, jede Schranktür geschlossen. Der Stuhl war genau unter den Schreibtisch geschoben. Alles war zu akkurat. Ohne große Hoffnung ging ich zu der Schublade und machte sie auf. Ich bückte mich und spähte bis in die hinteren Winkel. Vielleicht hatte Veritas’ Unordentlichkeit sich einmal als nützlich erwiesen. Ein alter Sporn, eine durchgebrochene Gürtelschnalle und eine Geweihzacke, an der jemand angefangen hatte herumzuschnitzen, und noch allerlei Geraffel dieser Art – auch ich wäre von allein nicht auf die Idee gekommen, dazwischen ein Smaragdkollier zu suchen. Aber da war es, eingewickelt in ein Stück Stoff. Es gab im Zimmer noch etliche andere kostbare Gegenstände, von denen Veritas wollte, daß ich sie an mich nahm. Während ich sie einsammelte, wuchs meine Verwirrung. Wenn man diese nicht gestohlen hatte, worauf konnte man es dann abgesehen haben?
Methodisch sortierte ich ein Dutzend Landkarten aus und nahm einige andere von den Wänden ab. Als ich mich daran machte, sie sorgfältig zusammenzurollen, kam Kettricken leise herein. Die Macht hatte mich auf sie aufmerksam gemacht, noch bevor ihre Hand die Tür berührte, deshalb hob ich ohne Überraschung den Kopf und schaute ihr entgegen. Veritas Emotionen brandeten durch mich hindurch, aber ich ließ mir nichts anmerken. Ihr Anblick schien seine Gegenwart in mir zu stärken. Sie war bezaubernd, blaß und schmal in einem Gewand aus weicher blauer Wolle. Ich hielt den Atem an und wandte den Blick ab.
»Veritas wollte, daß sie weggeräumt werden. Feuchtigkeit schadet ihnen, und hier wird nur selten einmal Feuer gemacht, wenn er nicht da ist.« Ich schob die Karte in eine Lederhülse.
Kettricken nickte. »Es wirkt so leer und kalt hier drin ohne ihn. Nicht nur, weil keine Feuer brennt. Sein Geruch fehlt, seine Unordnung…«
»Dann habt Ihr aufgeräumt?« fragte ich, als wäre es nicht besonders wichtig.
»Nein!« Sie lachte. »Mein Aufräumen zerstört nur sein liebevoll gehegtes Chaos, in dem er sich wohlzufühlen behauptet. Nein, ich lasse hier alles unberührt, bis er wiederkommt. Ich möchte, daß er bei seiner Heimkehr alles am gewohnten Platz findet.« Ein Schatten fiel über ihr Gesicht. »Aber dieses Zimmer soll unsere geringste Sorge sein. Ich habe heute morgen einen Pagen zu dir geschickt, aber du warst nicht da. Hast du gehört, was in Holüber geschehen ist?«
»Nur, was allgemein geredet wird.«
»Dann geht es dir wie mir. Man hat es nicht für nötig befunden, mich zu unterrichten«, sagte sie kalt, doch ihre Augen verrieten tiefe Enttäuschung. »Das meiste erfuhr ich von Lady Modeste, die Edels Leibdiener mit ihrer Zofe sprechen hörte. Die Torwache ging zu Edel und meldete ihm das Eintreffen des Boten. Hätten sie nicht eigentlich zu mir kommen müssen? Gelte ich ihnen denn nicht als Königin?«
»Hoheit«, erinnerte ich sie sanft, »von Rechts wegen hätte man König Listenreich
Weitere Kostenlose Bücher