Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
die Meldung bringen müssen. Ich vermute, das hat man getan, und Edels Männer, die vor des Königs Gemächern Posten stehen, haben nach ihm geschickt, statt nach Euch.«
Sie hob den Kopf. »Das wird nicht noch einmal vorkommen. Man kann dieses Spiel auch zu zweit spielen.«
»Ich frage mich, ob noch andere Nachrichten in ähnlicher Weise an den falschen Empfänger übermittelt worden sind«, überlegte ich laut.
Das Blau ihrer Augen verdunkelte sich zu einem frostigen Grau. »Was soll das bedeuten?«
»Die Alarmvögel, die Signalfeuer. Eine Botschaft, von Will im Roten Turm mit der Gabe an Serene übermittelt. Wenigstens einer dieser Hilferufe hätte uns erreichen müssen. Einer kann ungehört verhallen, aber alle drei?«
Sie wurde blaß, ihr Verstand erfaßte die Bedeutung dessen, was ich gesagt hatte. »Der Herzog von Bearns wird glauben, wir hätten ihn im Stich gelassen. Dies ist Verrat, um Veritas als eidbrüchig hinzustellen.« Ihre Augen wurden sehr rund, und plötzlich zischte sie mich an. »Ich werde es nicht dulden!«
Sie fuhr herum und eilte zur Tür, jeder Zoll ihres Körpers verriet flammenden Zorn. Im letzten Moment gelang es mir, ihr in den Weg zu springen und sie aufzuhalten. »Hoheit, meine Königin, ich bitte euch, wartet! Wartet und denkt nach!«
»Nachdenken? Worüber? Wie wir am besten das ganze Ausmaß dieser Perfidie enthüllen können?«
»Wir befinden uns in keiner guten Position, um Anklage zu führen. Bitte wartet. Überlegen wir gemeinsam. Ihr glaubt, wie ich, daß Edel geschwiegen hat, obwohl er von der Katastrophe wußte. Aber wir haben keinen Beweis. Überhaupt keinen. Und vielleicht haben wir uns geirrt. Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen, um nicht Uneinigkeit zu stiften, wo wir sie am wenigsten gebrauchen können. Die erste Person, mit der wir sprechen müssen, ist König Listenreich. Um festzustellen, ob er sich dieser Vorgänge bewußt ist, ob er Edel freie Hand gegeben hat.«
»Das würde er nie tun!« erklärte sie aufgebracht.
»Er ist oft nicht er selbst«, gab ich zu bedenken. »Doch nur ihm, nicht Euch, steht es zu, Edel öffentlich zu maßregeln, falls es öffentlich geschehen soll. Wenn Ihr gegen ihn sprecht und der König nimmt ihn in Schutz, wird der Adel eine Spaltung im Haus Weitseher wittern. Schon jetzt gibt es zwischen den Herzögen zuviel an Unsicherheit und Ressentiments. Wir dürfen nicht riskieren, die Inlandprovinzen gegen die Küstenprovinzen aufzubringen, zumal Veritas nicht am Hof ist.«
Sie holte tief Atem. Ich konnte sehen, daß sie immer noch vor Grimm bebte, aber wenigstens hörte sie mir zu.
»Deshalb hat er dich zurückgelassen, Fitz. Um diese Dinge für mich zu sehen.«
»Wie?« Ich war verwirrt.
»Ich dachte, du hättest es gewußt. Du mußt dich doch gewundert haben, weshalb er dich nicht aufgefordert hat, ihn zu begleiten. Der Grund ist, daß ich ihn gefragt habe, wem ich vertrauen könnte als Ratgeber. Er sagte, ich solle mich an dich wenden.«
Hatte er Chades Existenz vergessen, fragte ich mich, aber dann fiel mir ein, daß Kettricken ja nichts von Chade wußte. Veritas hatte geplant, daß ich als Vermittler fungieren sollte. In mir spürte ich seine Bestätigung. Chade. Im Schatten, wie immer.
»Überlegen wir weiter«, meinte sie. »Was wird als nächstes geschehen?«
Sie hatte recht. Das Nachspiel, und für uns vielleicht die wirkliche Katastrophe.
»Wir werden Besuch bekommen. Den Herzog von Bearns mit seinen Vasallen. Herzog Brawndy ist nicht der Mann, der eine Mission wie diese einem Abgesandten überläßt. Er wird in eigener Person kommen und Erklärungen verlangen, und sämtliche Küstenprovinzen werden darauf lauschen, was man zu ihm sagt. Bearns bietet den Piraten die größte Angriffsfläche, abgesehen von unserer eigenen Provinz.«
»Dann müssen wir Antworten bereithaben, die ihn überzeugen«, sagte Kettricken. Sie schloß die Augen, legte die Hände an die Stirn, dann auf ihre Wangen. Ich merkte, wir sehr sie bemüht war, sich zu beherrschen. Schließlich sah sie mich wieder an. »Ich werde König Listenreich aufsuchen und mit ihm sprechen. Über alles, was geschehen ist. Ich werde ihn fragen, was er zu tun gedenkt. Er ist der König. Man muß es ihm in Erinnerung rufen.«
»Das ist ein weiser Entschluß.«
»Ich muß allein zu ihm gehen. Wenn du mich begleitest, wenn du immer an meiner Seite bist, verleiht mir das einen Anschein von Schwäche, von Beeinflußbarkeit, und wie du sagst, wird man anfangen,
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