Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
der Narr zur Tür, eben als sie aufflog, um Edel einzulassen.
»Ah, noch mehr Gäste.« König Listenreich gluckste vergnügt. »Wir wollen uns einen schönen Abend machen. Setz dich, mein Junge, setz dich. Fitz hat uns gerade erzählt, sein Tag wäre unerfreulich gewesen, deshalb habe ich ihm einen Becher Tee zur Stärkung angeboten.«
»Er wird ihm bestimmt guttun«, meinte Edel liebenswürdig und fragte, zu mir gewandt: »Ein unerfreulicher Tag, Fitz?«
»Beunruhigend. Erst gab es einen kleinen Zwischenfall unten bei den Ställen. Einer von Herzog Rams Männern war da und behauptete, der Herzog hätte vier Pferde gekauft. Eins davon war Cliff, der Deckhengst für die Kaltblutstuten. Ich überzeugte ihn davon, es müsse sich um einen Irrtum handeln, weil die Papiere nicht die Signatur des Königs trugen.«
»Ach das!« Der König gluckste wieder. »Edel mußte sie mir noch einmal vorlegen, ich hatte ganz vergessen, sie zu unterzeichnen. Doch jetzt hat alles seine Ordnung, und ich bin sicher, die Pferde werden morgen früh auf dem Weg nach Tilth sein. Gute Pferde, Herzog Ram hat einen klugen Kauf getan.«
»Ich hätte nie gedacht, den Tag erleben zu müssen, an dem aus Bocksburgs Ställen die besten Tiere verkauft werden.« Während ich sprach, schaute ich Edel an.
»Auch mich kostet es Überwindung, aber der Zustand unserer Staatskasse zwingt uns zu drastischen Maßnahmen.« Er musterte mich kühl. »Teile der Schaf- und Rinderherden werden wir ebenfalls veräußern müssen. Wir haben nicht genug Futter, um sie über den Winter zu bringen; besser, wir trennen uns von ihnen, als daß wir zusehen, wie sie langsam verhungern.«
Ich brauste auf. »Woher so plötzlich diese Teuerung? Ich habe nichts von einer Mißernte gehört. Die Zeiten sind schwer, das stimmt, aber…«
»Du hast nichts gehört, weil du taub gewesen bist. Während gewisse Leute sich mit den ruhmreichen Aspekten des Krieges befaßten, blieb es mir überlassen, die Mittel herbeizuschaffen. Jetzt sind unsere Truhen so gut wie leer. Morgen werde ich den Männern auf der Werft unten sagen, daß sie entweder um den Dank des Vaterlandes weiterarbeiten oder nach Hause gehen müssen. Es ist kein Geld mehr da, um sie zu bezahlen, und auch nicht für das Material, das für den Bau der Schiffe gebraucht wird.« Er lehnte sich zurück und sah mich an.
Veritas in mir bäumte sich auf. Ich wandte mich an den König. »Ist das wahr, Majestät?«
Der alte Mann schrak zusammen. Er schaute zu mir hin und blinzelte mehrmals. »Ich habe diese Papiere unterzeichnet, oder nicht?«
Offenbar beschäftigten sich seine Gedanken immer noch mit Herzog Ram und den Pferden, und er hatte unser weiteres Gespräch gar nicht verfolgt. Der Narr zu seinen Füßen verhielt sich ungewohnt schweigsam. »Ich dachte, ich hatte es getan. Nun, dann gebt sie mir, damit wir diese lästige Angelegenheit hinter uns bringen und über Erfreulicheres plaudern können.«
»Was ist mit der Lage in Bearns? Stimmt es, daß die Korsaren sich auf den Nahen Inseln festgesetzt haben?«
»Die Lage in Bearns…« sagte er und verstummte. Er nahm einen weiteren Schluck Tee.
»An der Lage in Bearns läßt sich leider nichts ändern«, antwortete Edel statt seiner in bedauerndem Ton. »Es ist Zeit, daß Bearns lernt, sich selbst zu helfen. Wir können nicht alle Sechs Provinzen an den Bettelstab bringen, um ein Stück unfruchtbare Küste zu schützen. Also haben die Korsaren sich einen trostlosen Haufen Steine unter den Nagel gerissen. Mögen sie Freude daran haben. Unsere vornehmste Pflicht ist es, für die Sicherheit unserer eigenen Bevölkerung zu sorgen, unsere eigenen zerstörten Dörfer wiederaufzubauen.«
Ich warte vergebens darauf, daß Listenreich sich äußerte, sich zu seiner Pflicht als Lehnsherr bekannte. Als er schwieg, fragte ich mit mühsam erzwungener Ruhe: »Holüber ist wohl kaum ein trostloser Haufen Steine. Jedenfalls war es das nicht, bis die Roten Schiffe kamen. Und seit wann ist Bearns nicht mehr Teil der Sechs Provinzen?« Ich sah Listenreich an, versuchte, seinen Blick einzufangen. »Majestät, ich bitte Euch, laßt Serene kommen. Sie soll zu Veritas ›denken‹, damit Ihr Euch mit ihm beraten könnt.«
Edel wurde unseres Katz-und-Maus-Spiels überdrüssig. »Seit wann fühlt der Stallbursche sich berufen, Politik zu treiben?« fuhr er mich an. »Kannst du dir nicht vorstellen, daß der König imstande ist, Entscheidungen zu treffen, ohne vorher die Zustimmung des
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