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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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Chade Trost und Weisheit finden, statt mich von Edels tückischer Glut versengen zu lassen.
    Ich blieb den ganzen Abend in meinem Zimmer. Molly würde sich wundern, daß ich nicht kam, aber heute nacht konnte ich mich einfach nicht überwinden, aus der Tür zu schlüpfen, die Treppe hinaufzuschleichen und durch die Flure zu huschen, ständig in der Angst, plötzlich könnte jemand aus den Schatten oder einer Tür hinaustreten und mich ertappen, wo ich nichts zu suchen hatte. Noch vor kurzem hätte ich mich in Mollys Wärme und Zuneigung geflüchtet und in ihren Armen ein gewisses Maß an Frieden gefunden. Das war vorbei. Jetzt bedrückten mich die Heimlichkeit unserer Stelldicheins, die Angst vor der Entdeckung und ein ständiges Auf-der-Hut-sein, das auch dann nicht endete, wenn sich ihre Tür hinter mir schloß. Denn Veritas war bei mir, und ständig mußte ich aufpassen, daß nichts von dem, was ich mit Molly fühlte oder dachte, in seinen Bereich überströmte.
    Ich schob das Pergament zur Seite, mit dem ich mich hatte beschäftigen wollen. Welchen Nutzen hatte es jetzt noch, in vergilbten Schriften nach obskuren Hinweisen auf die Uralten zu suchen? Veritas würde finden, was es zu finden gab. Ich warf mich auf mein Bett und starrte zur Decke. Mochte ich auch äußerlich entspannt wirken, innerlich kam ich nicht zur Ruhe. Meine Verbindung mit Veritas steckte mir wie ein Haken im Fleisch. So mußte sich ein gefangener Fisch fühlen, wenn er gegen die Angelschnur kämpfte. Mein Bund mit Nachtauge existierte auf einer tieferen, subtileren Ebene, doch auch er war da, grünschillernde Augen in einem dunklen Winkel meines Selbst. Diese Teile von mir ruhten oder schliefen niemals, waren immer spürbar. Und diese andauernde Belastung forderte ihren Tribut.
    Stunden später zischten die Kerzenflammen in Teichen aus flüssigem Wachs, und das Feuer war niedergebrannt. Ein frischer Luftzug verriet nur, daß Chade seine lautlose Tür geöffnet hatte. Ich stand auf und folgte der Einladung, doch mit jedem Schritt die dunkle Treppe hinauf wuchs mein Zorn. Nicht der Zorn, der dazu führt, daß Männer sich anbrüllen und mit den Fäusten aufeinander losgehen. Dies war ein Zorn aus ebensovielen Bestandteilen Erschöpfung und Enttäuschung wie Schmerz. Es war die Art von Zorn, die einen Mann dazu bringt, die Hände zu heben und einfach zu sagen: »Ich kann es nicht mehr ertragen.«
    »Was nicht mehr ertragen?« erkundigte sich Chade. Er stand an seinem fleckigen Steintisch und hob den Blick von dem Mörser, in dem er irgendein Ingredienz zu Pulver zerstieß. Die aufrichtige Anteilnahme in seiner Stimme veranlaßte mich, auf der Schwelle zu verharren und den Mann zu betrachten, zu dem ich die Worte gesprochen hatte, ohne es zu merken. Ein hochgewachsener, hagerer Assassine. Pockennarbig. Das Haar inzwischen fast schlohweiß. Gekleidet in das immer gleiche graue Gewand, fleckig und mit kleinen Brandlöchern übersät – Spuren seiner Arbeit. Ich fragte mich, wie viele Männer er für seinen König auf einen Wink oder Kopfnicken hin getötet hatte. Getötet, ohne Fragen zu stellen, getreu seinem Eid. Ungeachtet all dieser Tode war er ein sanfter Mensch. Plötzlich brannte mir eine Frage auf der Zunge, über der ich vergaß, die seine zu beantworten.
    »Chade, hast du jemals einen Mensch nur zu deinem eigenen Nutzen getötet?«
    Er machte ein verwundertes Gesicht. »Nur zu meinem eigenen Nutzen?«
    »Ja.«
    »Du meinst, um mein Leben zu schützen.«
    »Nicht unbedingt. Ich meine, nicht im Auftrag des Königs. Ich meine, getötet, um – dein Leben einfacher zu machen.«
    Er schnaubte. »Selbstverständlich nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Man geht nicht herum und tötet Leute, weil es einem gerade paßt. Das ist ein Verbrechen. Es ist Mord, Junge.«
    »Außer, man tut es für den König.«
    »Außer, man tut es für den König«, stimmte er zu.
    »Chade, worin besteht der Unterschied? Ob du es für dich selbst tust oder für Listenreich?«
    Er seufzte, legte das Pistill hin, kam um den Tisch herum und setzte sich auf einen hochbeinigen Hocker. »Ich kann mich erinnern, dieselben Fragen gestellt zu haben. Mir selbst, weil mein Lehrer nicht mehr lebte, als ich in deinem Alter war.« Er sah mir fest in die Augen. »Es ist eine Frage des Glaubens. Glaubst du an deinen König? Und dein König muß für dich mehr sein als dein Halbbruder oder dein Großvater. Er muß mehr sein als der gute alte Listenreich oder Veritas, die ehrliche Haut. Er

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