Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
Tiermagiker.«
Fast hätte ich mich mit einer Spitze gegen ihre Mutter revanchiert, doch unvermittelt kam mir tatsächlich eine Erinnerung an sie. »Als wir unsere ersten Schreibstunden hatten, weißt du noch, wie deine Mutter dir immer einen dunklen Kittel anziehen mußte, weil du so mit der Tinte gekleckst hast?«
Sie starrte mich argwöhnisch an, während sie überlegte, ob auch diese Bemerkung eine verborgene Beleidigung oder Doppeldeutigkeit enthielt.
»Ja und?« fragte sie schließlich. Es ließ ihr keine Ruhe.
»Nichts weiter. Es ist mir nur gerade so eingefallen. Manchmal scheint es noch gar nicht so lange her zu sein, daß ich dir geholfen habe, die Schnörkel an den Buchstaben ordentlich zu malen.«
»Das hat nichts mit hier und heute zu tun!« erklärte sie aufgebracht.
»Nein, allerdings nicht. Das ist meine Tür. Wolltest du, daß ich dich mit ins Zimmer nehme?«
Sie spuckte mir vor die Füße. Bocksburg war nicht mehr ihr Zuhause, und sie fand nichts dabei, es zu besudeln, bevor sie fortging. Sie verriet mir damit, daß sie nicht damit rechnete, jemals wieder hierher zurückzukehren.
In meinem Zimmer machte ich von sämtlichen Riegeln Gebrauch und legte zusätzlich den starken Querbalken vor. Das Fenster war noch fest verschlossen, als ich es überprüfte. Zur Sicherheit schaute ich noch unters Bett, bevor ich mich vor den Kamin setzte, um die Augen zuzumachen und etwas zu ruhen, bis Chade mich rief.
Ein leises Klopfen an der Tür weckte mich aus dem leichten Halbschlaf. »Wer ist da?«
»Rosemarie. Die Königin wünscht Euch zu sehen.«
Bis ich soweit war, meine nach allen Regeln der Kunst verrammelte Tür wieder öffnen zu können, war das Kind verschwunden. Sie war nur ein kleines Mädchen, trotzdem fand ich, sie dürfte beim Überbringen ihrer Botschaften nicht so unbekümmert sein. Ich brachte hastig mein Äußeres in Ordnung und eilte dann die Treppe hinunter und den Flur entlang. Im Vorbeigehen warf ich einen Blick auf die Trümmer dessen, was einst die Eichentür zu König Listenreichs Gemächern gewesen war. Ein breitschultriger Soldat stand in der Öffnung, ein Mann aus Farrow, den ich nicht kannte.
Königin Kettricken ruhte auf einer Polsterbank dicht am Kamin. Ihre Frauen standen in Grüppchen beisammen und tuschelten, aber sie war allein. Ihre Augen waren geschlossen. Sie sah dermaßen erschöpft aus, daß ich mich fragte, ob Rosemarie vielleicht etwas falsch verstanden hatte. Doch Lady Hoffnungsfroh winkte schon und stellte mir einen Hocker neben die Bank. Als sie mir Tee anbot, nickte ich. Kaum war sie gegangen, um ihn aufzugießen, schlug Kettricken die Augen auf. »Wie geht es weiter?« fragte sie mit so leiser Stimme, daß ich mich vorbeugen mußte, um sie zu verstehen.
Ich schaute sie abwartend an.
»Der König schläft, aber er kann nicht ewig schlafen. Was immer man ihm gegeben hat, die Wirkung wird nachlassen, und dann sind wir wieder da, wo wir angefangen haben.«
»Der Tag der Designation rückt näher. Vielleicht lenkt das den Prinzen ab. Neue Gewänder, die anzumessen sind und das ganze übrige Brimborium, auf das er solchen Wert legt. Wenn wir Glück haben, ist er zu beschäftigt, um an den König zu denken.«
»Und danach?«
Lady Hoffnungsfroh kam mit dem Tee. Als sie sich einen Stuhl zu uns heranzog, fragte die Königin mit einem matten Lächeln, ob sie auch eine Tasse haben könne. Bereitwillig erhob sich die gute Seele wieder, um ihr die Bitte zu erfüllen, und ich schämte mich fast für das böse Spiel, das wir mit ihr trieben.
»Ich weiß nicht«, antwortete ich auf Kettrickens Frage.
»Aber ich. In meinen Bergen wäre der König in Sicherheit. Man würde ihn ehren und beschützen, und vielleicht wüßte Jonqui… Oh, vielen Dank, meine Liebe.« Königin Kettricken nahm die Tasse und blies vorsichtig hinein, während Lady Hoffnungsfroh sich wieder setzte.
Ich wählte meine nächsten Worte mit Bedacht. »Aber der Weg zu den Bergen ist weit, Hoheit, und in dieser Jahreszeit äußerst beschwerlich. Bis ein Kurier im Bergreich eintrifft, Heilmittel Eurer Mutter zu holen, wäre es beinahe schon Frühling. Es gibt andere Orte, an denen man die gleiche Kur für Euer Leiden finden könnte. Bearns oder Rippon wären sicherlich gerne bereit, uns in der Angelegenheit zu helfen, wenn wir sie bitten. Die edlen Herzöge dieser Provinzen sind Euch verpflichtet, wie Ihr wohl wißt.«
»Ich weiß es.« Kettricken lächelte müde. »Aber sie sind selbst in solcher
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