Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
benutze deine geschickten Menschenhände, um mich in den Ohren zu kratzen. Ich kann es nicht gründlich tun, ohne Striemen zu hinterlassen.
Also kratzte ich seine Ohren, seine Kehle und seinen Nacken, bis er sich auf die Seite fallen ließ wie ein Welpe.
»Hund«, neckte ich ihn gutmütig.
Das hast du nicht umsonst gesagt! Er schnellte empor, zwickte mich fest in den Arm, preschte aus der Tür und war verschwunden. Ich streifte den Ärmel zurück, um mir die tiefen Abdrücke seiner Zähne anzusehen, die fast bis aufs Blut gingen. Wolfshumor.
Der kurze Wintertag neigte sich dem Ende zu. Ich ging zur Burg zurück und zwang mich, den Weg durch die Küche zu nehmen, damit die Köchin Gelegenheit hatte, mich auf den neuesten Stand der Ereignisse zu bringen. Während sie mich mit Pfannkuchen und Hammelfleisch vollstopfte, berichtete sie davon, wie die Männer die Tür zu des Königs Gemächern mit Äxten einschlagen mußten, nachdem sein Wächter überraschend an Atemlähmung gestorben war. »Und die zweite Tür anschließend auch, und Prinz Edel trieb die Männer zur Eile an, weil er fürchtete, dem König könne ebenfalls etwas zugestoßen sein.
Doch als sie in das Schlaf gemach eindrangen, schlief der König trotz des Lärms der Äxte tief und fest in seinem Bett. Es gelang ihnen nicht, ihn zu wecken, und sie werden warten müssen, bis er von selbst aufwacht, um ihm zu erklären, weshalb sie seine Türen eingeschlagen haben.«
»Erstaunlich«, stimmte ich zu und bekam dann noch etwas von dem hören, was allgemein in der Burg geredet wurde. Wie sich herausstellte, drehten sich die meisten Gespräche hauptsächlich darum, wer mit nach Burg Fierant genommen wurde und wer nicht. Sara gehörte zu den Auserwählten – wegen ihrer Stachelbeertorte und dem Ballenkuchen. Sie wußte nicht, wer hier das Kochen übernehmen würde, aber vermutlich einer der Soldaten. Edel hatte ihr erlaubt, ihre besten Töpfe mitzunehmen, wofür sie dankbar war. Aber was sie am schmerzlichsten vermissen würde, war der Westkamin, denn sie hatte nie in einem besseren gekocht; der Zug war genau richtig und die Haken für das Fleisch alle genau in der richtigen Höhe. Ich hörte ihr zu und versuchte, ihr meine ungeteilte Aufmerksamkeit zu schenken, all den kleinen Dingen, die in ihrem Leben von Wichtigkeit waren. Die Fähengarde, erfuhr ich, sollte in Bocksburg zurückbleiben, wie auch die wenigen, die noch die Farben von König Listenreichs persönlicher Leibwache trugen. Aus seinen Gemächern verbannt, waren sie ein trübsinniger Haufen geworden. Doch Edel bestand darauf, daß sie hierbleiben müßten, um das Königshaus in Bocksburg zu repräsentieren. Rosemarie ging mit und ihre Mutter, aber das war kaum verwunderlich, wenn man bedachte, wem sie dienten. Fedwren blieb hier und Samten. Nun, das war eine Stimme, die sie vermissen würde, doch wahrscheinlich gewöhnte man sich nach einer Weile an das Genäsel der Binnenländer.
Sie kam nicht auf den Gedanken, mich zu fragen, was mit mir wäre.
Während ich die Treppe zu meinem Zimmer hinaufstieg, versuchte ich mir Bocksburg vorzustellen, wie es künftig sein würde: der Hohe Tisch verwaist bei jeder Mahlzeit, das ausgegebene Essen einfach und sättigend, wie die Feldköche es gewöhnt waren. Wenigstens solange die restlichen Lebensmittelvorräte reichten. Bis zum Frühjahr würden wir eine Menge Wild und Seetang vorgesetzt bekommen. Um Philia und Lacey machte ich mir größere Sorgen als um mich selbst. Behelfsmäßige Quartiere und derbe Kost machten mir nichts aus, aber sie waren an dergleichen nicht gewöhnt. Wenigstens war Samten noch hier, um zu singen, wenn er nicht, weil man ihn verschmäht hatte, in Melancholie versank. Und Fedwren. Da er nur noch wenig Kinder zu betreuen hatte, konnten er und Philia sich vielleicht ihren Forschungen auf dem Gebiet der Papierherstellung widmen. Was half’s, man mußte gute Miene zum bösen Spiel machen.
»Wo bist du gewesen, Bastard?«
Serene, die plötzlich aus einer Türnische trat. Sie hatte damit gerechnet, daß ich erschrak, aber dank der Macht wußte ich, daß jemand dort lauerte. Ich zuckte nicht mit der Wimper. »Spazieren.«
»Du riechst wie ein Hund.«
»Wenigstens kann ich mich damit entschuldigen, bei Hunden gewesen zu sein. So viele man uns im Stall gelassen hat.«
Sie brauchte einen Moment um die Beleidigung in meiner höflichen Antwort zu entdecken.
»Du riechst wie ein Hund, weil du selber mehr als zur Hälfte einer bist.
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