Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
Vom Netzwerk:
fand selbst den Tod. Wie lange diese beiden an dem König gehaftet und seine Kraft ausgesaugt hatten, würde ich nie erfahren. Sie mußten alles belauscht haben, was er durch mich zu Veritas ›dachte‹. Vieles wurde mir plötzlich klar, doch es war alles zu spät. Sie kamen näher, und ich hatte keine Vorstellung davon, wie ich ihnen ausweichen sollte. Ich fühlte, wie sie sich an mir festsaugten, wußte, sie entzogen mir jetzt meine Kraft, und da sie keinen Grund hatten, mich zu schonen, würde ich innerhalb weniger Minuten tot sein.
    Veritas! rief ich, doch ich war bereits zu sehr geschwächt. Ich konnte ihn nicht mehr erreichen.
    Weg von ihm, Hunde! Ein vertrautes Knurren, und dann war Nachtauge da und stemmte nach ihnen. Ich glaubte nicht, daß es gelingen würde, doch wie zuvor stieß er die Waffe der Macht durch den Kanal, den die Gabe geöffnet hatte. Die Macht und die Gabe waren zwei verschiedene Dinge, so unähnlich wie Lesen und Singen oder Schwimmen und Reiten. Doch wenn jemand durch die Gabe mit mir verbunden war, schien er durch diese andere Magie verwundbar zu sein. Ich fühlte sie zurückweichen, aber sie waren zwei, um dem Anprall zu widerstehen, die Macht konnte sie nicht beide außer Gefecht setzen.
    Lauf! Flieh vor dem Gegner, den du nicht bezwingen kannst.
    Ein kluger Rat. Angst trieb mich zurück in meinen eigenen Körper und hinter mir schlug ich die Tore meines Bewußtseins zu, damit sie nicht eindringen konnten. Als es möglich war, öffnete ich die Augen. Ich lag zu Füßen des Königs auf dem Boden und rang nach Atem, während der Narr sich laut weinend über den Toten geworfen hatte. Die körperlosen Fühler des Gabensinnes tasteten nach mir, und ich zog mich tiefer in mich selbst zurück und schirmte mich verzweifelt ab, auf die Art, die Veritas mich gelehrt hatte. Doch immer noch fühlte ich ihre Gegenwart wie geisterhafte Finger, die an meinen Kleidern zupften, über meine Haut strichen. Es erfüllte mich mit unaussprechlichem Ekel.
    »Du hast ihn getötet, du hast ihn getötet! Du hast meinen König getötet, du elender Verräter!« spie der Narr mir entgegen.
    Als ich mich aufrichtete, entdeckte ich zu meiner Bestürzung Wallace, der unser Tableau mit weit aufgerissenen Augen betrachtete. Dann hob er den Blick und stieß einen gellenden Schrei aus. Er ließ den Armvoll Holz fallen, den er mitgebracht hatte. Sowohl der Narr als auch ich wandten den Kopf.
    In der Tür zum Schlafgemach des Königs stand der Narbenmann. Obgleich ich wußte, daß es Chade war, sträubten sich mir unwillkürlich die Haare. Er war in zerlumpte Leichentücher gehüllt, das lange graue Haar hing ihm in verfilzten Strähnen ins Gesicht, und er hatte sich die Haut mit Asche eingerieben, damit die roten Narben deutlicher hervortraten. Bedrohlich langsam hob er die Hand und deutete auf Wallace. Der Mann sperrte den Mund auf, brachte aber keinen Ton heraus. Dann drehte er sich um und stürzte in blindem Entsetzen den Flur hinunter. Sein jammerndes Rufen nach den Wachen hallte durch die Burg.
    »Was geht hier vor?« verlangte Chade zu wissen, sobald Wallace die Flucht ergriffen hatte. Er war mit einem Schritt bei seinem Bruder und fühlte mit den langen dünnen Finger nach dem Puls an seinem Hals. Ich wußte, es war vergeblich. Mühsam raffte ich mich auf.
    »Er ist tot. ICH HABE IHN NICHT GETÖTET!« Meine Stimme übertönte das Wehklagen des Narren. Die Gabenfinger hörten nicht auf, an mir zu zupfen. »Ich gehe und werde ihn an seinen Mördern rächen. Bring den Narren in Sicherheit. Hast du die Königin?«
    Chade schwieg. Er starrte mich an, als hätte er mich nie zuvor gesehen. Sämtliche Kerzen im Raum brannten plötzlich knisternd mit blauer Flamme. Der Zeitpunkt hätte nicht besser gewählt sein können. »Bringt sie in Sicherheit«, befahl ich meinem Mentor, »und der Narr soll mit ihr gehen. Wenn er bleibt, ist er tot. Edel wird niemanden am Leben lassen, der heute nacht in diesem Raum gewesen ist.«
    »Nein! Ich verlasse ihn nicht!« Die Augen des Narren waren groß und leer wie die eines Wahnsinnigen.
    »Nimm ihn mit, ob er will oder nicht, Chade. Sein Leben hängt davon ab!« Ich packte den Narren bei den Schultern und schüttelte ihn heftig. Sein Kopf pendelte auf dem dünnen Hals hin und her. »Geh mit Chade und sei still! Sei still, wenn du willst, daß der Tod deines Königs gerächt wird. Denn das werde ich jetzt tun.« Plötzlich überlief mich ein Schauer. Die Welt schlug Wellen und wurde von

Weitere Kostenlose Bücher