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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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den Rändern her dunkel. »Elfenrinde!« ächzte ich. »Elfenrinde brauche ich von dir. Dann flieht!« Ich stieß den Narren zu Chade hin, und der alte Mann umschlang ihn mit seinen knochigen Armen. Es sah aus, als würde der Tod die schmächtige Gestalt an seine Brust drücken. Sie verließen das Zimmer, Chade schob den weinenden Narren vor sich her. Einen Augenblick später hörte ich ein leises Scharren von Stein auf Stein. Sie waren fort.
    Ich sank auf die Knie, dann vornüber, bis ich am Schoß meines toten Königs Halt fand. Seine schlaffe Hand fiel von der Armlehne auf meinen Kopf.
    »Eine dumme Zeit für Tränen«, sagte ich laut in das leere Zimmer, aber das hielt sie nicht zurück. Quirlende Dunkelheit am Rand meines Gesichtsfeldes. Die gespenstischen Gabenfinger wanderten über meine Mauern, kratzten am Mörtel, prüften jeden Stein. Ich stieß sie weg, aber sofort scharrten sie an einer anderen Stelle. So, wie Chade mich angesehen hatte, zweifelte ich plötzlich daran, daß er zurückkommen würde. Hoffen. Ich holte tief Atem.
    Nachtauge. Führe sie zum Fuchsbau. Ich zeigte ihm den Schuppen, aus dem sie herauskommen würden und den Platz, an dem Burrich wartete. Zu mehr fehlte mir die Kraft.
    Mein Bruder?
    Führe sie, mein Herz! Er zögerte, dann spürte ich, wie er sich entfernte. Immer noch liefen die albernen Tränen über mein Gesicht. Ich streckte nach einem Halt suchend die Hand aus, berührte den Gürtel meines Königs. Durch den Schleier vor meinen Augen sah ich sein Messer, kein juwelenbesetzter Dolch, sondern ein einfaches Messer, das jeder Mann für die einfachen alltäglichen Verrichtungen am Gürtel trug. Ich umfaßte den Griff, zog es aus der Scheide, setzte mich auf den Boden und betrachtete es. Eine ehrliche Klinge, dünngewetzt von langen Jahren des Gebrauchs. Das Heft aus einer Geweihstange, ursprünglich wohl mit Schnitzereien versehen, doch jetzt abgenutzt und glatt. Ich strich mit den Fingerspitzen darüber, und sie fanden, was meine Augen nicht mehr zu erkennen vermochten. Hods Zeichen. Die Waffenmeisterin hatte dieses Messer für ihren König gefertigt. Und er hatte es in Ehren gehalten.
    Eine Erinnerung regte sich im Hintergrund meines Bewußtseins. »Wir sind Werkzeuge«, hatte Chade zu mir gesagt. Ich war das Werkzeug, das er für den König geschmiedet hatte. Der König hatte mich angesehen und sich gefragt: Was habe ich aus dir gemacht? Ich brauchte mir diese Frage nicht zu stellen. Ich war des Königs Assassine, auf mehr als eine Weise. Doch heute wollte ich ihm in der reinsten Form dieses meines Standes dienen, für den er mich bestimmt hatte, ein letztes Mal.
    Jemand hockte neben mir. Chade. Langsam drehte ich den Kopf, um ihn anzusehen. »Carrissamen«, sagte er. »Keine Zeit für Elfenrinde. Komm, ich bringe dich auch in unser Versteck.«
    »Nein.« Ich nahm den kleinen Kuchen aus Carrissamen und Honig, steckte ihn in den Mund und kaute sorgfältig, um die volle Wirkung der Körner freizusetzen. Dann schluckte ich den süßen Brei hinunter. »Geh«, sagte ich zu Chade. »Ich habe eine Aufgabe zu erfüllen und du ebenfalls. Burrich wartet. Bald wird man Alarm geben, deshalb beeil dich. Bring die Königin hinaus, bevor zur Jagd geblasen wird. Ich werde derweil hier für Beschäftigung sorgen.«
    Er stand auf. »Lebwohl, Junge«, sagte er schroff und bückte sich, um mich auf die Stirn zu küssen. Er erwartete nicht, mich lebend wiederzusehen.
    Damit waren wir schon zwei.
    Noch bevor ich das Scharren hörte, mit dem der geheime Zugang sich schloß, machte sich die Wirkung des Carrissamens bemerkbar. Ich hatte schon früher Erfahrungen damit gemacht, beim Frühlingsfest wie alle anderen. So viel, wie sich zwischen Daumen und Zeigefinger fassen läßt, auf einen gezuckerten Kuchen gestreut, macht nur leicht ums Herz. Burrich hatte mich gewarnt, daß Roßtäuscher ihren Gäulen gerne Carrisöl ins Futter mischten, um bei einem Rennen zu gewinnen oder damit ein krankes Pferd bei der Versteigerung einen guten Eindruck machte. Er hatte mich auch gewarnt, daß das Tier hinterher in den meisten Fällen nie wieder so war wie vorher. Sofern es überlebte. Ich wußte, daß Chade gelegentlich Gebrauch davon machte, und ich hatte ihn umfallen sehen wie einen Stein, wenn die Wirkung nachließ, trotzdem zögerte ich nicht. Vielleicht hatte Burrich mit seinem Urteil über mich recht gehabt. Die Ekstase der Gabe oder die Erregung und der Rausch der Jagd. Kokettierte ich mit der

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