Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
nicht länger.
Laß den Burschen aufhängen, über Wasser so möglich, in guter Entfernung von den Ställen, und seinen Körper verbrennen. Laß jeden Hund, den er erzogen hat, ertränken, ebenso wie alle Nachkommen von verdorbenen Hunden. Ein Hund, der die alte Macht gekannt hat, wird keinen anderen Herrn fürchten oder achten, sondern wird falsch, wenn man ihn aus der Hut des Gleisners nimmt. Ein Gleisner wird einen ungehorsamen Hund nicht schlagen, noch wird er dulden, daß sein Bruderhund verkauft oder als Köder bei der Bärenhatz benutzt wird, ganz gleich wie alt das Tier ist. Ein Gleisner wird die Hunde seines Herrn sich selbst dienstbar machen und kennt keine wirkliche Treue zu seinem Herrn, sondern nur zu seinem Bruderhund.
Irgendwann wachte ich auf. Ich lag still und verschaffte mir einen Überblick über meine diversen Unpäßlichkeiten. Die Erschöpfung von dem Carrissamenrausch vermischte sich mit der Erschöpfung von meinem Kräftemessen mit Justin und Serene. Am rechten Unterarm hatte ich einige häßliche Verletzungen davongetragen und eine am rechten Oberschenkel, an die ich mich gar nicht erinnern konnte. Man hatte sich nicht die Mühe gemacht, sie zu verbinden. Ärmel und Hosenbein waren an den Wunden festgeklebt. Wer immer mich bewußtlos geschlagen hatte, war so gründlich gewesen, dem ersten Hieb zur Sicherheit noch einige weitere folgen zu lassen. Davon abgesehen, ging es mir ausgezeichnet. Ich wiederholte es in Gedanken und ignorierte das Zittern in meinem linken Bein und Arm. Dann wagte ich es und schlug die Augen auf.
Der Raum, in dem ich mich befand, war klein und hatte kahle Steinwände. In der Ecke stand ein Eimer. Als nächstes drehte ich meinen Kopf so weit, daß ich eine Tür mit einem kleinen vergitterten Guckfenster sehen konnte. Das war die Lichtquelle, genährt von einer Fackel. Irgendwo weiter hinten im Gang. Aha. Der Kerker. Da meine Neugier befriedigt war, schloß ich die Augen und schlief. Warm zusammengerollt, lag ich sicher in einer tiefen Mulde, zugedeckt von dem angewehten Schnee. Die Illusion von Sicherheit war das einzige, was Nachtauge mir vermitteln konnte. So schwach war ich, daß selbst seine Gedanken mich wie durch einen Nebel erreichten. Sicher. Das war seine Botschaft. Ich erwachte zum zweitenmal. Daß Zeit vergangen war, erkannte ich an meinem quälenden Durst, sonst hatte sich nichts verändert. Diesmal gewann ich die Erkenntnis dazu, daß die Bank, auf der ich lag, ebenfalls aus Stein war, und es befand sich nichts zwischen mir und ihr, außer den Kleidern, die ich trug. »He!« rief ich. »Wache!« Keine Antwort. Nach einiger Zeit konnte ich mich nicht mehr erinnern, ob ich bereits gerufen hatte oder ob ich erst die Kräfte sammelte, um es zu tun. Noch etwas Zeit verstrich, und ich entschied, daß es die Mühe nicht lohnte. Ich schlief wieder ein oder vielmehr; der Schlaf ergriff Besitz von mir.
Philias empörte Stimme weckte mich. Sie stritt mit jemandem, der keine Lust hatte zu antworten und nicht gewillt zu sein schien, nachzugeben. »Das ist lächerlich! Was fürchtest du, das ich tun könnte?« Schweigen. »Ich kenne ihn von Kindesbeinen auf.« Schweigen. »Er ist verletzt. Was kann es schaden, mich wenigstens einen Blick auf seine Wunden werfen zu lassen? Ihr könnt ihn heil ebensogut aufhängen wie zerschunden, oder?« Wieder Schweigen.
Ich beschloß, daß ich mich lange genug geschont hatte. Kaum versuchte ich mich zu regen, mußte ich feststellen, daß die Liste meiner Blessuren bei weitem nicht vollständig war. Ich entdeckte noch eine Reihe von Beulen und Schrammen, die ich mir nicht erklären konnte; wahrscheinlich Andenken an die Reise von der großen Halle hierher. Das Schlimmste war, daß bei jeder Bewegung der Kleiderstoff an den verkrusteten Wunden scheuerte, aber es ließ sich ertragen. Für einen so kleinen Raum kam mir der Weg vom Bett bis zur Tür unendlich lang vor. Als ich davor stand, stellte ich fest, daß ich gerade groß genug war, um aus dem kleinen Fenster sehen zu können, auf nichts weiter als die gegenüberliegende Mauer des schmalen Gangs. Ich umfaßte die Gitterstäbe mit der unverletzten linken Hand.
»Philia?« Meine krächzende Stimme erschreckte mich.
»Fitz? O Fitz, geht es dir gut?«
Was für eine Frage! Ich wollte lachen, mußte husten und hatte den Geschmack von Blut im Mund. Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Es ging mir nicht gut, andererseits war es für Philia gefährlich, sich zu sehr um mich
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