Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
geschwollenen Lippen die Worte zu formen, »ich habe dir nie Schmerz zufügen wollen. Es tut mir leid.« Ich suchte nach Worten, um die Qual in seinen Augen zu lindern. »Niemand sollte dir die Schuld zuschieben. Du hast dir mit mir die größte Mühe gegeben.«
Er schüttelte den Kopf, Gram und Erbitterung verzerrten sein Gesicht. »Leg dich hin und stirb, Junge. Leg dich einfach hin und stirb.« Damit wandte er sich ab und torkelte schwerfällig zum Ausgang. Blade folgte ihm rückwärtsgehend und entschuldigte sich tausendmal bei den ratlosen Wärtern, die offenbar heilfroh waren, daß die ungebetenen Besucher freiwillig das Feld räumten. Ich schaute ihnen nach und sah, wie Burrichs Schatten sich entfernte, während Blade sich noch etwas Zeit nahm, um die Wogen zu glätten.
Ich wischte mir den Speichel von dem verquollenen Gesicht und kehrte langsam zu meiner Steinbank zurück. Dort saß ich lange und hing meinen Erinnerungen nach. Von Anfang an hatte er mich vor der alten Macht gewarnt. Den ersten Hund, dem ich mich verschwistert hatte, hatte er mir brutal entrissen. Ich hatte mit ihm um meinen Freund gekämpft, mit aller Kraft, die ich besaß, gegen ihn gestemmt, und erlebt, daß er den geistigen Rammstoß einfach zu mir reflektierte. Mit solcher Wucht, daß ich jahrelang nicht mehr versuchte, diese Waffe der alten Macht gegen jemanden zu gebrauchen. Und als er einlenkte, über meinen Bund mit dem Wolf hinwegsah, wenn er ihn auch nicht akzeptierte, kam es ihn teuer zu stehen. Die alte Macht. All die Male, die er mich gewarnt hatte, und meine hochmütige Überzeugung, es besser zu wissen, das Richtige zu tun.
Du hast das Richtige getan.
Nachtauge, begrüßte ich ihn. Ich war zu schwach, zu müde, zu entmutigt, um mehr zu tun.
Komm zu mir. Komm mit mir und wir jagen. Mit mir kannst du all dem entfliehen.
Später vielleicht, vertröstete ich ihn. Mir war nicht danach, mit ihm zu debattieren.
Ich saß lange da, ohne mich zu rühren. Mein Zusammenstoß mit Burrich war fast schlimmer gewesen als die Schläge. Ich versuchte, mich an einen Menschen in meinem Leben zu erinnern, den ich nicht enttäuscht hatte. Kein einziger fiel mir ein.
Mein Blick fiel auf Brawndys Umhang. Ich fror und hätte ihn gerne gehabt, aber ich scheute die Anstrengung, ihn aufzuheben. Ein Steinchen auf dem Boden daneben erregte meine Aufmerksamkeit. Merkwürdig. Ich hatte lange genug auf diesen Boden gestarrt, um zu wissen, daß es in meiner Zelle keine schwarzen Steinchen gab.
Neugier ist eine erstaunlich starke Triebfeder. Endlich beugte ich mich tatsächlich vor, hob den Umhang auf und auch das Steinchen. Ich brauchte eine Weile, bis ich mir den Umhang um die Schultern gelegt hatte. Dann untersuchte ich meinen Fund. Es war kein Stein. Ein Päckchen, schwarz und feucht. Blätter. Ein Kügelchen aus zusammengewickelten Blättern. Ein Kügelchen, das mich am Kinn getroffen hatte, als Burrich mich anspuckte? Ich hielt es prüfend in den unsteten Lichtschein, der durch die vergitterte Öffnung fiel. Etwas Weißes stak in dem äußeren Blatt, ich zog es heraus. Was meinen Blick angezogen hatte, war das weiße Ende einer Stachelschweinborste, während die schwarze, mit Widerhaken versehene Spitze die Blattenden zusammenhielt. Im Innern der Umhüllung fand sich ein klebriger, brauner Globulus. Ich hob ihn an die Nase und roch daran. Ein Gemisch aus Kräutern, doch ein Aroma dominierte. Ich erkannte es mit einem flauen Gefühl. Carryme. Ein starkes Schmerz- und Beruhigungsmittel, auch geeignet, um einen barmherzigen Tod zu schenken. Kettricken hatte es benutzt, als sie im Bergreich versuchte, mich zu ermorden.
Komm mit mir.
Jetzt nicht.
Das war Burrichs Abschiedsgeschenk an mich? Ein barmherziger Tod? Ich überdachte, was er gesagt hatte. Besser, du legst dich hin und stirbst. Das von einem Mann, dessen Motto lautete, der Kampf ist nicht zu Ende, bevor man ihn gewonnen hat? Der Widerspruch war zu kraß.
Dem-wir-folgen sagt, du sollst mit mir kommen. Jetzt. Heute nacht. Leg dich hin, sagt er. Sei ein Knochen, den die Hunde ausgrasen, sagt er. Ich spürte, wie er sich anstrengte, mir diese Botschaft zu übermitteln.
Ich schwieg und überlegte.
Er hat mir den Stachel aus der Lippe gezogen, Bruder. Ich glaube, wir können ihm trauen. Komm mit mir. Jetzt – heute nacht.
Ich betrachtete die Gegenstände, die in meiner Hand lagen. Das Blatt, der Stachel, die Kräuterperle. Ich wickelte die Perle wieder in das Blatt und steckte es mit dem
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