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Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder

Titel: Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Hobb
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hatte ich ihm ein Reh, gefroren und gut versteckt, hinter die Hütte gelegt, reichlich Fleisch, um die Zeit meiner Abwesenheit zu überbrücken. Doch nach echter Wolfsart hatte er sich den Bauch vollgeschlagen und geschlafen, wieder gefressen und geschlafen, bis nichts mehr übrig war. Seit zwei Tagen nicht, ließ er mich wissen, während er um mich herumtanzte. Der Boden der Hütte war von blitzblank abgenagten Knochen übersät. Seine Wiedersehensfreude erklärte sich zum Teil dadurch, daß sowohl die Macht als auch seine Nase ihm von dem frischen Fleisch Kenntnis gaben, das ich mitbrachte. Sofort stürzte er sich darauf, und ich konnte mir ungestört einen Sack nehmen, um die alten Knochen einzusammeln. Unrat lockte Ratten an und Ratten die Hunde der Burg, ein Risiko, das ich nicht eingehen durfte. Zwischendurch sah ich zu ihm hin und bemerkte das Spiel der Muskeln an seinen Schultern, wenn er die Vorderpfoten gegen den Fleischbrocken stemmte und ein Stück losriß. Ich bemerkte auch, daß viele Knochen aufgeknackt waren und das Mark herausgeschleckt. Das war nicht mehr das Werk eines Welpen, sondern das eines starken jungen Raubtiers. Die Knochen, deren Splitter ich einsammelte, waren teilweise dicker als mein Arm.
    Aber weshalb sollte ich dich angreifen? Du bringst mir Fleisch. Und Ingwerplätzchen.
    Seine Gedanken vermittelten mir Einblick in eine fremde Welt. Das war das Gesetz des Rudels. Ich, ein älterer, brachte Fleisch für Cub, einen Jungwolf. Ich war der Jäger, der ihn an seiner Beute teilhaben ließ. Als ich zu ihm hinspürte, merkte ich, daß sich für ihn die Unterschiede zwischen uns zu verwischen begannen. Wir waren Rudelbrüder, für mich ein kaum zu erfassendes Konzept. Rudelbrüder waren mehr als Gefährten oder Freunde. Ich fürchtete, es bedeutete für ihn dasselbe wie Verschwistern für mich. Ich durfte es nicht zulassen.
    »Ich bin ein Mensch. Du bist ein Wolf.« Ich sprach es laut aus, obwohl er die Bedeutung des Gesagten natürlich aus meinen Gedanken entnehmen konnte, doch ich wollte ihn zwingen, mit allen Sinnen unsere Verschiedenheit wahrzunehmen.
    Äußerlich. Innerlich sind wir Rudelbrüder. Er leckte sich selbstgefällig über die Nase. Seine Vorderpfoten waren blutbespritzt.
    »Nein. Ich füttere und schütze dich hier. Aber nur eine Zeitlang. Sobald du in der Lage bist, selbst zu jagen, werde ich dich an einen anderen Ort bringen und freilassen.«
    Ich habe nie gejagt.
    »Ich werde es dich lehren.«
    Auch das ist Rudelgesetz. Du bist mein Lehrer, und ich werde mit dir jagen. Wir teilen uns viele Beute und viel gutes Fleisch.
    Ich werde dich jagen lehren, dann lasse ich dich frei.
    Ich bin frei. Du hältst mich hier nur, weil ich es will. Er öffnete wie zu einem Lachen das Maul und ließ die rote Zunge heraushängen.
    Du bist anmaßend, Cub. Und unwissend.
    Dann unterweise mich. Er drehte den Kopf, um mit den Backenzähnen Fleisch und Sehnen von dem Knochen zu schneiden, den er sich vorgenommen hatte. Wie es deine Pflicht als Rudelbruder ist.
    Wir sind keine Rudelbrüder. Ich gehöre zu keinem Rudel. Meine Treue gehört dem König.
    Wenn er dein Führer ist, ist er auch der meine. Wir gehören zusammen. Je mehr sein Bauch sich füllte, desto selbstzufriedener wurde er.
    Ich wechselte die Taktik. Ich gehöre zu einem Rudel, in dem für dich kein Platz ist, erklärte ich ihm kalt. In meinem Clan gibt es nur Menschen. Du bist kein Mensch. Du bist ein Wolf. Wir sind keine Rudelbrüder.
    Eine Stille wie dunkles Wasser flutete mir von ihm entgegen. Er gab keine Antwort, doch er fühlte, und was er fühlte, durchkältete mich bis ins Mark. Verlassenheit und Verrat. Einsamkeit.
    Ich ging. Doch ich konnte nicht vor ihm verbergen, wie schwer es mir fiel, ihn unversöhnt dort allein zu lassen, oder wie sehr ich mich schämte, ihn zurückgewiesen zu haben. Ich hoffte, er spürte auch, daß ich nur glaubte, es sei zu seinem Besten. Ganz so, fiel mir ein, wie Burrich damals, als er mir Nosy wegnahm, weil ich mich mit dem Welpen verschwistert hatte. Der Gedanke brannte in mir wie Feuer, und ich ergriff regelrecht die Flucht.
    Der Tag neigte sich, als ich in der Burg die Treppe zu meinem Zimmer hinaufstieg. Ich holte die Päckchen, die ich dort gelassen hatte, und ging wieder nach unten. Auf dem zweiten Absatz stockten meine treulosen Füße. Ich wußte, sehr bald würde Molly hier entlangkommen, um das Tablett mit dem Geschirr von Philias Abendmahlzeit in die Küche zu tragen. Nur noch selten

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