Die Legende vom Weitseher 02 - Des Königs Meuchelmörder
ich auf Zehenspitzen weiter. Vom Bett her konnte ich Mollys tiefe, regelmäßige Atemzüge hören. Damit hätte ich zufrieden sein sollen, aber mich quälte die Vorstellung, sie könnte vergiftet sein und innerlich brennend langsam in den Tod hinüberdämmern. Ich nahm mir fest vor, daß ich nicht mehr tun wollte, als nur auf ihrem Kissen zu fühlen, ob sie fieberte. Nicht mehr als das. Ich huschte zu ihrem Bett.
In dem ungewissen Licht konnte ich gerade eben die Umrisse ihres Körpers unter der Decke ausmachen. Sie roch nach Heide und warm und süß. Gesund. Hier schlief kein fieberheißes Giftopfer. Ich konnte beruhigt gehen. »Schlaf gut«, hauchte ich.
Lautlos schnellte sie in die Höhe. Der Widerschein der Glut lief rot an der Klinge des Messers entlang, das sie gegen mich zückte. »Molly!« rief ich, duckte mich und hob abwehrend den Arm.
Sie erstarrte, die andere Hand zur Faust geballt, und für den Bruchteil einer Sekunde herrschte vollkommene Stille und Bewegungslosigkeit. Dann zischte sie: »Neuer!« und rammte mir die linke Faust in den Magen. Als ich mich ächzend zusammenkrümmte, rollte sie blitzschnell vom Bett herunter. »Holzkopf! Du hast mich zu Tode erschreckt! Was fällt dir ein, an meinem Riegel herumzuhantieren und in meine Kammer geschlichen zu kommen! Ich sollte die Wachen rufen, damit sie dich hinauswerfen!«
»Nein«, flehte ich, während sie das Feuer schürte und an den Flammen eine Kerze entzündete. »Bitte. Ich gehe schon. Ich hatte nichts Böses im Sinn und wollte dich nicht beleidigen. Ich wollte mich nur vergewissern, daß dir nichts fehlt.«
»Daß mir nichts fehlt!« Selbst ihr Flüstern klang erbost. Ihr Haar war für die Nacht zu dicken Zöpfen geflochten, die mich an das kleine Mädchen erinnerten, das ich vor so vielen Jahren kennengelernt hatte. Doch vor mir stand kein kleines Mädchen mehr. Sie fing meinen Blick auf, warf sich einen Hausmantel über und knotete den Gürtel zu. »Ich bin so aufgeregt, daß ich die ganze Nacht kein Auge mehr zutun kann! Du hast getrunken, stimmt’s? Was willst du hier?«
Die Kerze wie eine Waffe vor sich haltend, kam sie auf mich zu. »Nein«, wies ich ihren Verdacht zurück, stellte mich aufrecht hin und zog mein Hemd glatt. »Glaub mir, ich bin nicht betrunken. Und wirklich, ich hatte keine unehrenhaften Absichten. Aber – heute nacht ist etwas vorgefallen, und plötzlich hatte ich Angst, dir könnte etwas zugestoßen sein. Deshalb muß ich einfach kommen und sehen, ob es dir gut geht. Doch weil ich wußte, Philia würde es nicht gutheißen, bin ich heimlich…«
»Neuer, du redest dummes Zeug«, unterbrach sie mich in eisigem Ton.
Sie hatte recht. »Es tut mir leid«, sagte ich noch einmal und sank auf die Bettkante.
»Mach es dir gar nicht erst gemütlich. Du wolltest gehen, wenn ich mich recht erinnere. Allein oder mit Hilfe der Wachen, du hast die Wahl.«
»Du brauchst die Wachen nicht rufen.« Ich stand hastig auf. »Ich sehe ja, es geht dir gut.«
»Selbstverständlich geht es mir gut«, sagte sie spitz. »Weshalb sollte es mir nicht gutgehen? Heute nacht so gut wie gestern nacht oder die dreißig Nächte davor. In keiner davon hast du dich bemüßigt gefühlt, herzukommen und dich nach meinem Wohlergehen zu erkundigen. Weshalb ausgerechnet jetzt?«
Ich holte tief Atem. »Weil manche Nächte gefährlicher sind als andere. Es geschehen Dinge, die mich veranlassen, darüber nachzudenken, was noch schlimmer sein könnte. Zu manchen Zeiten ist es nicht empfehlenswert, die Liebste eines Bastards zu sein.«
Ihr Mund wurde zu einem schmalen Strich, und ihre Stimme war ausdruckslos, als sie fragte: »Was bitte soll das heißen?«
Das Herz schlug mir bis zum Hals, aber ich war entschlossen, so aufrichtig zu sein wie möglich. »Ich kann dir nicht sagen, was geschehen ist. Nur daß ich Grund hatte zu glauben, du könntest in Gefahr sein. Du mußt mir vertrauen…«
»Das meinte ich nicht. Was soll das heißen, Liebste eines Bastards? Wie kannst du es wagen, mich so zu nennen?« Ihre Augen schossen Blitze.
Ich schwöre, daß ich die eisige Hand des Todes nach meinem Herzen greifen fühlte. »Es ist wahr, ich habe kein Recht dazu«, sagte ich stockend, »aber ich kann nichts für meine Gefühle. Und ob ich dich zu Recht meine Liebste nennen darf oder nicht, wird diejenigen, die mir übelwollen, nicht daran hindern, dir etwas anzutun, um mich zu treffen. Wie kann ich sagen, ich liebe dich so sehr, daß ich wünschte, ich liebte
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