Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
halbverhungert auf andere Übeltäter losgelassen. Solche Veranstaltungen waren in letzter Zeit äußerst populär geworden, so populär, daß der Marktplatz von Fierant, wo die ›Gerichtstage‹ zur Zeit abgehalten wurden, die Menschenmenge nicht mehr faßte. Deshalb ließ Edel ein eigenes Rund bauen, in bequemer Nähe seines Landhauses, mit Zellen und dicken Mauern, hinter denen Raubtiere und Gefangene sicher untergebracht werden konnten, und mit Sitzplätzen für die Zuschauer, die kamen, um das Spektakel zu genießen. Der Bau der Anlage bedeutete für Fierant neue Einnahmequellen und Arbeitsplätze; ein willkommener Ausgleich für die Einbußen durch die unterbrochenen Handelsbeziehungen zu den Chyurda im Bergreich. Man war allgemein mit dem Vorhaben einverstanden. Jedenfalls hörte ich keine Stimme, die dagegen sprach.
Nachdem der Wagen fertig beladen war, nahm ich meinen Lohn und folgte den anderen Schauerleuten zu einer nahen Schänke. Dort gab es außer Wein und Bier auch gewisse Kräuter zu kaufen und ein Räuchergefäß, das man mit an den Tisch nehmen konnte. Die Luft im Schankraum war zum Schneiden dick, und so dauerte es nicht lange, bis meine Augen brannten und mein Hals vom Einatmen der beißenden Schwaden rauh wurde. Die übrigen Gäste schienen sich nicht daran zu stören, ihnen war auch wenig eine Wirkung anzumerken. Der Gebrauch von glimmenden Kräutern als Rauschmittel war in Bocksburg kaum verbreitet, und ich hatte mich nie damit anfreunden können. Mein Lohn reichte für eine Portion Hafermehlpudding mit Honig und einen Krug bitteren Bieres, das für mich nach Flußwasser schmeckte.
Ich fragte herum, ob es stimmte, daß man Stallburschen für des Königs eigene Rosse suchte und wenn ja, wohin man gehen mußte, um sich für eine solche Arbeit zu bewerben. Daß einer wie ich den Ehrgeiz hatte, in den Dienst des Königs zu treten, sorgte für gelinde Belustigung, doch weil ich mich während der ganzen Zeit etwas einfältig gestellt hatte, brauchte ich auf den derben Humor und die Anspielungen nicht einzugehen, sondern zeigte den rauhen Gesellen nur ein mildes Lächeln. Einer riet mir schließlich, den König selbst zu fragen, und beschrieb mir den Weg zur Burg Fierant. Ich dankte ihm, trank mein Bier aus und machte mich auf den Weg.
Ich hatte wohl eine Art Kastell erwartet, mit Wällen und Befestigungen. Danach hielt ich jedenfalls Ausschau, während ich, meiner Wegebeschreibung folgend, in westlicher Richtung aus der Stadt hinausging. Schließlich gelangte ich zu einem flachen Hügel, sofern eine derart bescheidene Erhebung überhaupt diese Bezeichnung verdiente. Er ermöglichte jedoch einen freien Ausblick auf den Fluß, und das imposante Gebäude, das ihn krönte, nutzte sämtliche Vorteile dieser herrlichen Lage. Ich stand unten auf der wimmelnden Straße und starrte daran empor. Es war in nichts vergleichbar mit Bocksburgs strenger Festungsarchitektur. Kiesbestreute Wege, Gärten und Bäume umgaben ein palastähnliches, einladendes Bauwerk. Burg Fierant war, auch wenn sie so hieß, nie als Burg geplant gewesen, sondern als elegante, luxuriöse Residenz. In die Mauern waren durch Anordnung der Steine Muster eingearbeitet worden, und die Tore hatten schön gewölbte Rundbögen. Türme gab es zwar, doch man sah gleich, sie waren errichtet worden, damit der Schloßherr den Ausblick genießen konnte, und hatten keinerlei militärische Bedeutung.
Mauern trennten die belebte Straße vom Palastgrund, doch es waren niedrige, behäbige Mauern, mit Moos und Efeu bewachsen, und in Nischen umrahmten Blütenranken anmutige Statuen. Ein breiter Fahrweg führte in gerader Linie zum Schloß. Andere, schmalere Wege luden dazu ein, Seelilienteiche und Figurenbäume zu besichtigen oder verschwiegene Pfade zu erforschen. Eichen und Trauerweiden, vor wenigstens hundert Jahren von einem vorausschauenden Gärtner gepflanzt, ragten heute schattenspendend empor, und ihre Blätter flüsterten sacht in der Brise, die vom Fluß heraufwehte. Diese romantische Idylle bedeckte die Bodenfläche eines mittelgroßen Bauernhofs. Ich versuchte mir einen Herrscher vorzustellen, der einmal über die Zeit und dann über die Mittel verfügte, so etwas zu schaffen und zu erhalten.
Solche Pracht konnte man haben, wenn man keine Kriegsschiffe bauen und kein stehendes Heer unterhalten mußte? Hatte Philias Elternhaus ähnlich ausgesehen? War es das, wovon sich der Narr in seinem Zimmer mit Vasen und Blumen und Goldfischgläsern
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