Die Legende vom Weitseher 03 - Die Magie des Assassinen
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Als Schafhirte
Chade Irrstern, König Listenreichs Ratgeber, war ein treuer Vasall des Hauses Weitseher. Kaum jemand wußte von seiner Existenz während der ganzen langen Zeit, in der er König Listenreich diente, und so wollte er es haben, denn er war kein Mann, der nach Ruhm strebte. Vielmehr stellte er das Königshaus über alles andere, über sein eigenes Leben oder was sonst den Menschen wichtig ist. Er nahm seinen Treueschwur gegenüber dem Haus Weitseher außerordentlich ernst. Nach dem Tod König Listenreichs stand er unerschütterlich auf der Seite des rechtmäßigen Thronfolgers und seiner Gemahlin und wurde darum von Edel verfolgt, dem er jedes Recht auf die Herrscherwürde absprach. In Botschaften an jeden einzelnen der Herzöge sowie an Prinz Edel bekannte er sich als einen treuen Anhänger König Veritas’ und gelobte, keinem anderen den Vasalleneid zu leisten, bis man ihm Beweise für des Königs Tod vorlegte. Prinz Edel erklärte ihn daraufhin zu einem Rebellen und Hochverräter und setzte eine Belohnung auf Chades Kopf aus. Chade Irrstern wußte sich mit Schläue und Geschick seinen Nachstellungen zu entziehen und fuhr fort, in den Küstenprovinzen die Botschaft zu verbreiten, der rechte König sei nicht tot, sondern werde zurückkehren, um sein Volk zum Sieg über die Roten Korsaren zu führen. Von ›König‹ Edel im Stich gelassen, begannen mehr und mehr Adelige, diesen Gerüchten ein offenes Ohr zu schenken. Man begann Lieder zu singen, und selbst die einfachen Leute klammerten sich an die Hoffnung auf den der Gabe kundigen König, der kommen werde, um sie zu erretten, an der Spitze einer Schar der mit übermenschlichen Kräften ausgestatteten Uralten aus Sagen und Legenden.
Am späten Nachmittag fanden sich die übrigen Teilnehmer dieses Trecks ein. Der Stier und die Pferde gehörten einer Frau, die mit ihrem Mann in einem von Ochsen gezogenen Wagen eintraf. Sie entzündeten etwas abseits ihr eigenes Feuer, kochten ihr eigenes Essen und schienen sich selbst genug zu sein. Kurz darauf tauchte mein neuer Herr leicht angeheitert auf und beäugte die Schafe, ob sie seinen Wünschen entsprechend mit Futter und Wasser versorgt waren. Sein Gefährt war ein hochrädriger Karren, gezogen von einem stämmigen Pony, das er sogleich in meine Obhut gab. Er teilte mir mit, er habe noch einen zweiten Helfer gedungen, einen Mann namens Creece. Ich sollte auf ihn warten und ihm zeigen, wo die Schafe standen. Danach verschwand er in einer Kammer, um sich hinzulegen. Bei dem Gedanken an eine lange Reise in Gesellschaft von Creece mit seiner Lästerzunge, mußte ich seufzen, doch ich beklagte mich nicht, sondern kümmerte mich um das Pony, eine gutmütige kleine Stute namens Drumme.
Als nächstes kam eine lustigere Gesellschaft angefahren, eine Puppenspielertruppe in einem bunt bemalten Wagen, gezogen von einem Scheckengespann. An einer Seite hatte der Wagen ein großes Fenster, das für das Spiel mit Handpuppen nach unten geschoben wurde, sowie eine Markise, die zur Überdachung einer Bühne ausgespannt werden konnte, wenn man die größeren Marionetten benutzte. Der Maestro der Truppe hieß Dell. Zu ihm gehörten drei Lehrlinge, ein Geselle, der sich auf die Kunst mit Meister Hemmerlin verstand, und eine Vagantin, die sich ihnen für die Reise angeschlossen hatte. Sie machten kein eigenes Lagerfeuer, sondern erfüllten, beflügelt von etlichen Humpen Ale, die kleine Gaststube im Haus der Verseherin mit Gesang und dem Klappern der Marionetten.
Anschließend trafen zwei Fuhrwerke mit sorgsam verpackten Keramikgegenständen ein und dann endlich die Wegweise mit ihren vier Gehilfen, die mehr als nur unsere Führer sein würden. Schon das Äußere von Madge, der Leiterin, flößte Vertrauen ein; sie war eine tatkräftig wirkende, stämmige Frau mit schiefergrauem Haar, das sie streng zurückgekämmt und im Nacken mit einem perlenverzierten Lederband zusammengebunden trug. Zwei der Helfer waren dem Anschein nach eine Tochter und ein Sohn. Sie kannten die Wasserlöcher, gute und schlechte, waren bereit, uns gegen Räuber zu verteidigen, führten einen zusätzlichen Vorrat an Lebensmitteln und Trinkwasser mit und würden mit Nomaden verhandeln, deren Weideland wir durchquerten. Letzteres war mindestens so bedeutend wie alles übrige, denn die Nomaden empfanden kaum Wohlwollen für Fremde, deren Vieh das Gras abweidete, das sie als Futter für ihre eigenen Herden brauchten. Am Abend rief Madge alle
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